Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung einer Gemeinde gegenüber dem Land für fehlerhaftes Verwaltungshandeln in Auftragsangelegenheiten
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff der „Haftung” im Bereich der Auftragsverwaltung im Sinne des Art. 104 a Abs. 5 GG, deren Regelung vom Verfassungsgeber einem Ausführungsgesetz vorbehalten worden ist, umfasst potenziell das Einstehen für die finanziellen Auswirkungen aller Verwaltungsfehler im Bereich der Auftragsverwaltung, unabhängig davon, ob sie ihre Ursache in vorsätzlichem, fahrlässigem oder nicht schuldhaftem, nur objektiv pflichtwidrigen Verhalten haben.
2. Liegt ein Anwendungsfall der Auftragsverwaltung gemäß Art. 85, 104a GG vor, so gehört dazu sowohl derjenige Teil der Verwaltungstätigkeit, in dem es um die Leistungsgewährung aufgrund des Bundesgesetzes geht, als auch derjenige Teil der Verwaltungstätigkeit, in dem es um den Ersatz der zur Leistungsgewährung verauslagten Mittel zwischen der auszahlenden Verwaltungsstelle und dem Bund geht.
3. Eine Regelung von Haftungsansprüchen zwischen den Ländern einerseits und den Gemeinden andererseits wegen Fehlverhaltens der Gemeinden in Auftragsangelegenheiten muss auf spezialgesetzlicher Grundlage, sei es auf Bundes- oder sei es auf Landesebene, erfolgen. Die erforderliche spezialgesetzliche Regelung muss nach ihrer Haftungssystematik mit der Haftung nach Art. 104a Abs. 5 GG und der Haftung nach dem noch ausstehenden bundesrechtlichen Ausführungsgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG in Einklang stehen.
4. Bis zum Erlass des Ausführungsgesetzes nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG und der darin vorzunehmenden konkreten Ausgestaltung der Haftungsgrundsätze im Bereich der gesamten Auftragsverwaltung ist auch für den Haftungsbereich im Verhältnis Land und Gemeinde von einer Regelungslücke auszugehen, die die Rechtsprechung zu beachten hat und die sie mit Rücksicht auf die noch ausstehenden gesetzgeberischen Entscheidungen im Rahmen des Ausführungsgesetzes nicht durch Heranziehung allgemeiner Rechtsinstitute wie dem des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ausfüllen darf.
Normenkette
GG Art. 104a Abs. 5, Art. 85
Nachgehend
Tenor
Unter entsprechender teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin über den ihr bereits vom Verwaltungsgericht zuerkannten Betrag von 114.819,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.3.2004 hinaus weitere 430.642,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.3.2004 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 530.000,00 Euro abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Klägerin ist durch Landesgesetz die Auszahlung von Wohngeld als staatliche Auftragsangelegenheit übertragen. Der Beklagte ist das für die Fachaufsicht im Bereich der Wohngeldgewährung zuständige Ministerium des Landes. Der Beigeladene ist Träger der von der Klägerin auszuzahlenden Sozialhilfe.
Mit der Klageforderung verfolgt die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erstattung von Wohngeldzahlungen, welche die Klägerin in Vollzug des Wohngeldgesetzes (WoGG) im Auftrag des Landes im November 2003 an Leistungsempfänger ausgezahlt hat.
Das (ursprüngliche) Bestehen der geltend gemachten Klageforderung war und ist nach Umfang und Rechtsgrund zwischen den Beteiligten stets unstreitig gewesen. Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob diese Forderung durch die vom Beklagten bereits vorprozessual – mit Schreiben vom 19.2.2004 – erklärte Aufrechnung erloschen ist.
Die Kostenerstattung betreffend das Wohngeld wird zwischen Land und Gemeinde in ständiger Verwaltungspraxis so vorgenommen, dass monatlich von den Gemeinden die im Vormonat ausgezahlten Wohngeldbeträge beim Land angefordert und seitens des Landes in dem auf die Anforderungen folgenden Monat an die Gemeinden erstattet werden. Entsprechend dieser Verwaltungspraxis hat die Klägerin im Dezember 2003 einen Erstattungsbetrag von 1.015.578,99 Euro bei der Landeshauptkasse des Landes für im November 2003 verauslagtes und im Januar 2004 zu erstattendes Wohngeld angefordert. Dass diese Anforderung dem Grund und der Höhe nach berechtigt war, wurde von den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.
Zur Erfüllung dieser Erstattungsforderung erhielt die Klägerin zunächst eine Teilzahlung. Im Übrigen erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 19.2.2004 förmlich die Aufrechnung mit einer seiner Auffassung nach bestehenden Gegenforderung des Landes in Höhe von 545.461,24 Euro gegenüber der Klägerin.
Er machte geltend, dem Land stehe gegen die Klägerin ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspr...