Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Insolvenzverwalters auf Auskunftserteilung zu Speicherkontenauszügen mit Daten über Steuerschulden und Umbuchungen gegen das Finanzamt nach §4 Abs. 1 IFG NRW. Informationszugangsanspruch gegenüber den Finanzämtern
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine besondere Rechtsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW liegt nur dann vor, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Informationen, die der Rechtsvorschrift unterfallen, und/oder in persönlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Personen, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist.
2. Wenn spezialgesetzliche Regelungen für einen gesonderten Sachbereich oder für bestimmte Personengruppen einen begrenzten Informationsanspruch vorsehen, ist im Einzelfall zu untersuchen, ob diese Grenzen auch für den Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW bindend sind. Das ist anzunehmen, wenn ein umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwider laufen würde. Lässt sich derartiges nicht feststellen, gelangt der Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW zur Anwendung.
3. Die insolvenzrechtlichen bzw. auf das Insolvenzverfahren bezogenen Vorschriften über Auskunftsansprüche nach §§ 97, 101 InsO bzw. § 242 BGB weisen keinen mit dem Informationsfreiheitsgesetz NRW identischen sachlichen Regelungsgehalt auf. Sie regeln gerade nicht den Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Landes, sondern betreffen ganz allgemein die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse im Insolvenzverfahren und Informationsansprüche der Beteiligten untereinander. Diesen Vorschriften kommt auch nicht deswegen ein anderer, mit dem Informationsfreiheitsgesetz NRW identischer Regelungsgehalt zu, weil im Einzelfall eine juristische Person des öffentlichen Rechts Insolvenzgläubiger und folglich Verfahrensbeteiligter eines Insolvenzverfahrens ist.
4. Die Abgabenordnung beinhaltet keine bereichsspezifische Ausschlussregelung. Diese ist weder der Nichtregelung des Akteneinsichtsrechts noch der Regelung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) zu entnehmen.
5. Das Informationsfreiheitsgesetz NRW bezweckt nach der Gesetzesbegründung, die Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf das Handeln der staatlichen Organe dadurch zu optimieren, dass ihnen eine verbesserte Argumentationsgrundlage an die Hand gegeben wird.
6. Der Insolvenzverwalter wird bei Zahlungsanfechtungen gemäß §§ 129 ff. InsO nicht tätig, um steuerliche Rechte des Insolvenzschuldners zu wahren (§§ 80 Abs. 1, 155 InsO), sondern um die Insolvenzmasse zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten bzw. anzureichern.
7. Über einen Anspruch des Steuerpflichtigen, seines Vertreters oder eines Dritten gegenüber einer Finanzbehörde auf Mitteilung der über ihn gespeicherten Daten sagt die Vorschrift des § 30 AO nichts aus.
Normenkette
BGB § 242; InsO §§ 97, 101; AO § 30; IFG NRW § 4 Abs. 1; IFG NRW § 4 Abs. 2 S. 1; IFG NRW § 9
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 7. Mai 2010 geändert.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Auskunft über die bei dem Finanzamt N. in Bezug auf die Insolvenzschuldnerin (U. Nahrungsmittel- und Restaurations-GmbH) gespeicherten Informationen durch Herausgabe von Jahreskontenauszügen zur Körperschaft-, Umsatz- und Lohnsteuer für die Jahre 2005 und 2006 zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter die Erteilung steuerlicher Auskünfte durch das Finanzamt.
Die Insolvenzschuldnerin, die U. Nahrungsmittel- und Restaurations-GmbH, führte einen Imbiss und ein Restaurant. Seit April 2002 betrieb das Finanzamt N. – nachfolgend: Finanzamt – die Vollstreckung gegen die Schuldnerin aufgrund steuerlicher Rückstände. Für die folgenden Jahre ergingen ausschließlich Schätzungsbescheide. Im November 2005 führte das Finanzamt bei der Schuldnerin eine Liquiditätsprüfung durch. Zuvor hatte die Schuldnerin ihre Bankverbindung bei der örtlichen Sparkasse beendet und tätigte ausschließlich Bargeschäfte. Nachdem die Steuerschulden auf über 41.000,00 Euro angewachsen und Vollstreckungsverfahren wegen steuerlicher Rückstände seit Juni 2004 erfolglos geblieben waren, beantragte das Finanzamt am 23. März 2006 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Als Insolvenzgrund gab es an: Eine Ratenzahlungsvereinbarung sei nicht eingehalten worden. Seit dem 10....