Verkehrssicherungspflichten dienen nur der Beseitigung von Gefahren, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht rechtzeitig erkennbar sind. Offensichtliche Gefahren, vor denen man sich ohne Weiteres selbst schützen kann, lösen keine Verkehrssicherungspflichten aus. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn das Handeln des Geschädigten von ganz besonderer, schlechthin unverständlicher Sorglosigkeit gekennzeichnet ist. Den Verkehrssicherungspflichtigen kann aber unter Umständen eine schwerer wiegende gesteigerte Sorgfaltspflicht treffen, die einem vollständigen Haftungsausschluss entgegensteht.
Früher hatten Fußgänger, die bei Glätte zu Fall und zu Schaden kamen, bei ihren Regressansprüchen gegen den Verkehrssicherungspflichtigen häufig "schlechte Karten", weil die Gerichte ein überwiegendes Mitverschulden unterstellten. Doch seit einigen Jahren ist eine Entwicklung in der Rechtsprechung festzustellen, die ein weit überwiegendes Mitverschulden eines Fußgängers für einen Glätteunfall bei Schneematsch verneint und damit einer "Aushöhlung" der Verkehrssicherungspflicht entgegenwirken will.
Eingeschränktes Eigenverschulden
Bei Schneematsch hatte eine Fußgängerin innerorts an einer belebten Kreuzung einen Unfall. Sie war trotz winterfesten Schuhwerks gestürzt und hatte dabei einen komplizierten Trümmerbruch im oberen Sprunggelenksbereich erlitten. Sie verlangte von der Gemeinde Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgelds.
Land- und Oberlandesgericht hatten der Klage den Erfolg versagt wegen eines so überwiegenden Mitverschuldens, dass eine Verantwortung der Gemeinde ganz entfalle. Doch auf die Revision der Klägerin hat der BGH den Rechtsstreit zurückverwiesen:
Bei der Prüfung des Mitverschuldens habe der Tatrichter einen weiten Entscheidungsspielraum. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten im Rahmen des § 254 BGB komme allerdings nur ausnahmsweise in Betracht. Insoweit sei die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern. Bei der Nutzung von pflichtwidrig nicht geräumten oder gestreuten Verkehrswegen stehe auf der Seite des Geschädigten stets ein Handeln und auf der Seite des Streupflichtigen stets ein Unterlassen. Dieses Unterlassen müsse bewertet werden. Der Schutzzweck der verletzten Verkehrssicherungspflicht würde sonst ausgehöhlt.
Anforderungen an ein Mitverschulden
Auf derselben Linie liegt eine Entscheidung des OLG Brandenburg, die sich ausführlich mit den Anforderungen an die Annahme eines Mitverschuldens auseinandersetzt:
- Kommt ein Fußgänger auf einem nicht geräumten und nicht gestreuten Gehweg infolge Eisglätte zu Fall, steht damit nicht im Wege eines Anscheinsbeweises fest, dass er den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Selbst wenn ihm als Anlieger der Zustand des Gehwegs bekannt war, folgt daraus noch nicht, dass er zwingend mit dem Vorhandensein von Eisflächen infolge der Unebenheit des Gehwegs hätte rechnen müssen.
- Ein Mitverschulden kann anzunehmen sein, wenn dem Geschädigten eine gefahrlose Alternative zur Verfügung stand oder kein besonderer Anlass für das Betreten des Gehwegs bestand und der Geschädigte ohne besondere Not in Kenntnis einer möglichen Glätte den Gehweg betreten hat. Hierzu müssen konkrete Feststellungen getroffen werden. Der pauschale Vorwurf, der Geschädigte habe keine ausreichenden Vorkehrungen zur Beherrschung der Gefahr getroffen, reicht nicht aus.
Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn sich ein Fußgänger grundlos auf eine spiegelglatte Eisfläche begibt. Hat der Geschädigte die Glättegefahr bereits erkannt, muss er entsprechend vorsichtig sein und erhöhte Sorgfalt walten lassen.
Notfalls muss er sich zur Vermeidung eines Sturzes auch auf dem "Hosenboden" fortbewegen. Gerade wenn der bei Glätte gestürzte Mieter selbst den Hauswartservice für "unzuverlässig" hält, trifft ihn am behaupteten Sturz ein weit überwiegendes Mitverschulden.
Gänzlich entfällt ein Mitverschulden eines Geschädigten nur dann, wenn eine Erkennbarkeit der Gefährlichkeit des Sturzbereichs nicht gegeben ist.