Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsstand für Vollkaskoklage ab 1.1.2008
Normenkette
VVG a.F. § 48; VVG § 215
Verfahrensgang
Tenor
Zuständiges Gericht ist das LG Trier.
Gründe
I. Der in dem Bezirk des LG Trier wohnende Kläger beansprucht eine Entschädigung aus einem bei der Beklagten unterhaltenen Vollkaskoversicherungsvertrag. Das zunächst angerufene LG Saarbrücken, in dessen Bezirk die Hauptagentur der Beklagten ihren Sitz hat, hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien an das LG Trier verwiesen. Das LG Trier hat sich für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Saarländischen OLG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II. Zuständiges Gericht ist das LG Trier.
1. Das folgt schon daraus, dass der Verweisungsbeschluss des LG Saarbrücken vom 19.8.2008 gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das LG Trier bindend ist. Zwar entfällt die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses dann, wenn das verweisende Gericht den Anspruch der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu der beabsichtigten Verweisung verletzt hat, oder wenn der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02 NJW-RR 2002, 1489; Senat, Beschl. v. 27.6.2007 - 5 W 139/07-44 - st. Rspr.). Diese Voraussetzungen liegen indessen nicht vor, weil das LG Saarbrücken den Parteien rechtliches Gehör zu der beabsichtigten Verweisung gewährt hat und angesichts des Streits um den zeitlichen Beginn der Geltung des § 215 Abs. 1 WG(n.F.) von einer offensichtlich fehlenden rechtlichen Grundlage für die Entscheidung von vornherein keine Rede sein kann.
2. Im Übrigen trifft die Rechtsauffassung des LG Saarbrücken zu, nach der ab dem 1.1.2008 § 48 Abs. 1 VVG a.F. nicht mehr gilt und für im Jahr 2008 erhobene Klagen aus dem Versicherungsvertrag nach § 215 Abs. 1 VVG - auch - das Gericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz und in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Das folgt - entgegen einer in der Rechtslehre ohne weitere Begründung vertretenen Auffassung (Schwintowski/ Brömmelmeyer, Kommentar zum
Versicherungsvertragsrecht, 2008, § 215 Rz. 16) - sowohl aus dem Wortlaut des Art. 1 EGWG 2008 als auch aus seiner rechtssystematischen Einordnung (Schneider, VersR 2008, 859) und seinem Sinn und Zweck.
Schon der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 EGWG lässt erkennen, dass das Gesetz über den Versicherungsvertrag in der bis zum 1.1.2008 geltenden Fassung bis zum 31.12.2008 "auf Versicherungsverhältnisse", also auf die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer, soweit der Versicherungsvertrag sie regelt, - und nur auf sie - anzuwenden ist. § 48 VVG a.F. ist indessen keine das Versicherungsverhältnis betreffende Bestimmung. Mit der Gewährung eines zusätzlichen Gerichtsstandes neben den von den §§ 12 ff. ZPO vorgesehenen enthält die Vorschrift eine Regelung, die sich demgegenüber auf das Prozessrechtsverhältnis zwischen einem klagenden Versicherungsnehmer und seinem Versicherer bezieht. Dafür gilt aber als Grundsatz des intertemporalen Verfahrensrechts, dass gesetzliche Änderungen, soweit spezifische Übergangsvorschriften vorgesehen sind und kein besonderes Vertrauen zu schützen ist, sogar bereits anhängige Verfahren erfassen (vgl. u.a. BVerfGE 87, 48; BFH, Beschl. v. 8.6.2005 - V S 12/04).
Dass Art. 1 Abs. 1 EGWG 2008 die Anwendbarkeit des neuen Rechts nicht vollständig für alle Rechtsfragen aus Anlass eines Rechtsstreits zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer auf den 1.1.2009 befristet, folgt sodann aus den ihm folgenden Vorschriften, die lediglich für in einer Übergangszeit eingetretene Versicherungsfälle sowie für bestimmte Versicherungsverträge Sonderregelungen anordnen. Das zeigt sich besonders deutlich in Art. 1 Abs. 2 EGWG, der sogar für "Altverträge" das alte Recht ausschließlich "insoweit" fortgelten lässt, als es um die Beurteilung des Versicherungsfalls (und die aus ihm folgenden materiellen Rechte und Pflichten) geht.
Die sich aus Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts ergebende grundsätzliche Geltung des neuen Rechts ab dem 1.1.2008 ist schließlich durch die Art. 1 ff. EGWG 2008 nur aus Gründen des Bestandsschutzes und der Gewährung eines Anpassungszeitraums für Versicherer eingeschränkt worden. Solche Gründe vermögen indessen die Fortgeltung des § 48 Abs. 1 VVG a.F. nicht zu rechtfertigen. Soweit ein Rechtsstreit zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer zum 1.1.2008 bereits anhängig war, leistet § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die nötige Verlässlichkeit der einmal begründeten Zuständigkeit eines Gerichts. Soweit noch kein Rechtsstreit anhängig ist, ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen dem durch § 215 Abs. 1 VVG begünstigten Versicherungsnehmer und dem Versicherer Vertrauensschutz zustehen sollte.
Fundstellen
Haufe-Index 2089313 |
ZAP 2009, 269 |
VersR 2008, ... |