Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren ist nicht auf Grund mündlicher Erörterung i.S. von § 57 S. 2 FamFG ergangen, wenn das Erstgericht im sog. gemischt mündlich-schriftlichen Verfahren entschieden hat. Dieses liegt vor, wenn zwar zunächst mündlich erörtert, dann aber nicht sofort entschieden wird, sondern neuer Sachvortrag herangezogen oder gar weitere Ermittlungen angestellt und in der Entscheidung verarbeitet werden, ohne Gegenstand der mündlichen Erörterung gewesen zu sein.
Normenkette
FamFG § 57 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Ottweiler/Saar (Beschluss vom 03.02.2023; Aktenzeichen 22 F 148/22 EASO) |
Tenor
Unter Aufhebung der Vorlageverfügung vom 3. Februar 2023 - 22 F 148/22 EASO - wird die Sache zur Neuentscheidung über die einstweilige Anordnung nach mündlicher Erörterung an das Amtsgericht - Familiengericht - in Ottweiler zurückgegeben.
Gründe
Das Rechtsmittel der Beschwerde ist in einstweiligen Anordnungsverfahren in Familiensachen nach § 57 S. 2 FamFG ausschließlich in den dort abschließend aufgezählten Verfahrensgegenständen - zu denen gemäß dessen Nr. 1 die elterliche Sorge für ein Kind gehört - eröffnet, sofern das Gericht des ersten Rechtszuges "auf Grund mündlicher Erörterung" entschieden hat. Ist die Entscheidung über eine einstweilige Anordnung in einer solchen Familiensache ohne mündliche Erörterung ergangen, ist gemäß § 54 Abs. 2 FamFG auf Antrag aufgrund mündlicher Erörterung erneut zu entscheiden.
Der gegen die angegangene einstweilige Anordnung, wodurch das Familiengericht der Antragstellerin (fortan: Mutter) - gestützt auf § 1666 BGB - die Entscheidung über die Durchführung von Auslandsreisen vorläufig zur alleinigen Ausübung übertragen und dem Antragsgegner (Vater) - unter Erlass weiterer, u.a. dessen Umgangsrecht einschränkender Begleitanordnungen - untersagt hat, die verfahrensbeteiligten Kinder ins Ausland zu verbringen, eingelegte Rechtsbehelf des Vaters wäre als Beschwerde wegen § 57 S. 1 FamFG hier jedenfalls unstatthaft und ist - mit der auf den Senatshinweis vom 17. Februar 2022 hin ausdrücklich erklärten Billigung des Verfahrensbevollmächtigten des Vaters - als Antrag auf Neuentscheidung auf Grund mündlicher Erörterung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG zu behandeln (vgl. dazu auch Senatsbeschlüsse vom 10. November 2022 - 6 UF 145/22 - und vom 2. Februar 2022 - 6 UF 14/22 - und vom 6. Januar 2022 - 6 UF 177/21 - jeweils m.w.N.).
Dem steht § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG nicht entgegen, weil das Familiengericht nicht auf Grund mündlicher Erörterung entschieden hat. Die Entscheidung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren ist nach ganz herrschender Auffassung, die der Senat teilt, nicht auf Grund mündlicher Erörterung i.S. von § 57 S. 2 FamFG ergangen, wenn das Erstgericht im sog. gemischt mündlich-schriftlichen Verfahren entschieden hat, welches vorliegt, wenn zwar zunächst mündlich verhandelt, dann aber nicht sofort entschieden wird, sondern neuer Sachvortrag herangezogen oder gar weitere Ermittlungen angestellt und in der Entscheidung verarbeitet werden, ohne Gegenstand der mündlichen Erörterung gewesen zu sein; dann bedarf es einer erneuten mündlichen Erörterung vor dem Erstgericht, bevor die Anfechtung gemäß § 57 S. 2 FamFG eröffnet ist (vgl. etwa OLG Braunschweig NJW 2020, 1819; OLG Bamberg, Beschluss vom 1. Juli 2019 - 2 WF 140/19 - juris; Musielak/Borth/Grandel, FamFG, 6. Aufl., § 57 Rz. 9 f m.w.N.; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 57 FamFG, Rz. 4).
So liegt es hier, denn abgesehen davon, dass das Familiengericht mit Schluss der mündlichen Erörterung vom 7. Dezember 2022 faktisch in ein schriftliches Verfahren übergegangen ist, hat es ausweislich der Beschlussgründe vor allem die erst dem am 23. Dezember 2022 eingereichten Sorgerechts-Hauptsacheantrag - 22 F 182/22 - beigefügte vollständige Übersetzung des psychologischen Sachverständigengutachtens aus dem Scheidungsverfahren vor dem albanischen Gericht, welches im Erörterungstermin nur im Original vorgelegt und woraus von dem anwesenden Dolmetscher nur ein einzelner Satz ins Deutsche übersetzt worden war, bei seiner Entscheidung - zudem gegen den ausdrücklichen Widerspruch des Antragsgegners - verwertet.
Bei dieser Sachlage liegt es auf der Hand, dass es vor der Entscheidung über die einstweilige Anordnung erneuter mündlicher Erörterung über den neuen Verfahrensstoff vor dem Erstgericht bedurft hätte, in deren Abwesenheit die Beschwerde gegen die ergangene einstweilige Anordnung zum Sorgerecht - wie diejenige zum in § 57 S. 2 FamFG von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit (§ 57 S. 1 FamFG) nicht ausgenommenen Umgangsrecht im Übrigen von vornherein - nicht statthaft ist.
Nach alldem ist die Vorlageverfügung des Familiengerichts aufzuheben und die Sache zur Neuentscheidung in eigener Zuständigkeit nach mündlicher Erörterung an dieses zurückgegeben.
Weder eine Kostenentscheidung noch eine Wertfestsetzung durch den Senat sind veranlasst.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 70 Abs. 4 FamFG).
Fundstellen