Leitsatz (amtlich)

1. Im Verfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BGB ist ein Kind regelmäßig etwa ab Vollendung des dritten Lebensjahres persönlich anzuhören (§ 159 Abs. 2 FamFG). Diese Anhörung kann mangels vergleichbaren Verfahrensgegenstands grundsätzlich nicht durch eine vorangegangene Anhörung in einem Umgangsrechtsverfahren ersetzt werden.

2. Der wesentliche Inhalt einer durchgeführten Anhörung ist nach § 28 Abs. 4 FamFG in einem schriftlichen Vermerk festzuhalten.

3. Die zu Unrecht unterbliebene Kindesanhörung begründet einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, der auf entsprechenden Antrag hin die Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG rechtfertigt.

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der undatierte Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Saarbrücken - 41 F 144/17 SO -, durch welchen die elterliche Sorge für die Kinder E. T., geboren am ..., und D. T., geboren am ..., auf die Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertragen wurde, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Familiengericht zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

3. Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

4. Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. Sch., N..

5. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., S..

 

Gründe

I. Die Antragstellerin (Kindesmutter) und der Antragsgegner (Kindesvater), die beide die kirgisische Staatsangehörigkeit besitzen, sind die Eltern der Kinder D., geboren am ..., und E., geboren am ... Ihre Ehe ist geschieden. Die Kinder leben bei der Antragstellerin, der durch Beschluss des Familiengerichts vom 9. April 2013 in dem Verfahren 41 F 88/13 SO mit Zustimmung des Antragsgegners das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde. Der Umgang des Antragsgegners mit den Kindern wurde durch mehrere gerichtlich protokollierte Vergleiche geregelt, unter anderem in dem Verfahren 41 F 486/15 SO, in dem D. am 14. Januar 2016 durch das Familiengericht angehört wurde.

In dem vorliegenden, auf den Antrag der Antragstellerin vom 15. Mai 2017 eingeleiteten Sorgerechtsverfahren erstrebt diese zuletzt die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge für die beiden Kinder. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten.

Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2017 Rechtsanwalt B. zum Verfahrensbeistand für die Kinder bestellt und am 27. Juni 2017 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem sich der Verfahrensbeistand und die Vertreterin des Jugendamts gegen eine Beibehaltung der gemeinsamen Sorge ausgesprochen haben. Eine Kindesanhörung unterblieb.

Durch den angefochtenen, undatierten - möglicherweise im Termin am 27. Juni 2017 verkündeten - Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht antragsgemäß die elterliche Sorge für E. und D. auf die Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertragen.

Mit seiner Beschwerde, deren Zurückweisung die Antragstellerin - unterstützt durch den Verfahrensbeistand - beantragt, will der Antragsgegner die Aufhebung des Beschlusses erreichen. Auf den Hinweis der Senatsvorsitzenden vom 27. November 2017 haben alle Beteiligten mit Ausnahme des Jugendamts, das sich in zweiter Instanz nicht geäußert hat, die Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht beantragt.

Die Akten 41 F 88/13 SO, 41 F 89/13 UG, 41 F 169/13 UG, 41 F 485/15 SO, 41 F 486/15 UG, 41 F 145/17 UG und 41 F 175/17 UG des Amtsgerichts - Familiengericht - Saarbrücken lagen dem Senat vor.

II. Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg.

Die Entscheidung des Familiengerichts, das rechtsbedenkenfrei und im Beschwerdeverfahren unbeanstandet (stillschweigend) seine internationale Zuständigkeit angenommen und deutsches Sachrecht angewendet hat, kann keinen Bestand haben, weil das erstinstanzliche Verfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet.

Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG ist ein Kind, das - wie D. und E. - das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, persönlich durch das Familiengericht anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Die erste Voraussetzung liegt bei einem - hier gegebenen - Verfahren nach § 1671 BGB regelmäßig vor (Keidel/Engelhardt, FamFG, 19. Aufl., § 159 Rn. 8). Denn die Neigungen, Bindungen und der Wille des von dem Verfahren betroffenen Kindes stellen für die Entscheidung, ob die elterliche Sorge oder eines Teils davon auf einen Elternteil zu übertragen ist, einen maßgeblichen Gesichtspunkt dar. Dessen Bedeutung hat das Gericht bei der Verfahrensgestaltung dadurch Rechnung zu tragen, dass es sich einen unmittelbaren Eindruck von d...

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