Leitsatz (amtlich)

Ein Unfallversicherer muss sich die Neubemessung der Invalidität nicht vorbehalten haben, wenn er bei später erkannter Unrichtigkeit der Erstbemessung den bereits regulierten Betrag (teilweise) zurückverlangen will.

 

Normenkette

AUB § 11 Abs. 1, 4; BGB § 812 Abs. 1 S. 1; VVG § 187 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 21.05.2021; Aktenzeichen 14 O 301/19)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21. Mai 2021 - 14 O 301/19 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.053,26 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die teilweise Rückzahlung gewährter Versicherungsleistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag. Der Beklagte unterhält bei der Klägerin unter der Versicherungsnummer ... einen ursprünglich mit der T., der Rechtsvorgängerin der Klägerin (im folgenden einheitlich "Klägerin"), geschlossenen Unfallversicherungsvertrag. Dem Vertrag liegen u.a. Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (im folgenden: AUB 94; BI. 9 ff. d. A.) sowie Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel 225 % (BI. 14 d. A.) zugrunde. Die versicherte Grundsumme für den Fall der Invalidität beträgt 115.040,67 Euro.

§ 11 AUB 94 hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

I. Sobald dem Versicherer die Unterlagen zugegangen sind, die der Versicherungsnehmer zum Nachweis des Unfallherganges und der Unfallfolgen sowie über den Abschluss des für die Bemessung der Invalidität notwendigen Heilverfahrens beizubringen hat, ist der Versicherer verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt.

(...)

II. Erkennt der Versicherer den Anspruch an oder haben sich Versicherungsnehmer und Versicherer über Grund und Höhe geeinigt, so erbringt der Versicherer die Leistung innerhalb von zwei Wochen.

(...)

III. (...)

IV. Versicherungsnehmer und Versicherer sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalles, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Dieses Recht muss seitens des Versicherers mit der Abgabe seiner Erklärung entsprechend I., seitens des Versicherungsnehmers innerhalb eines Monats ab Zugang dieser Erklärung ausgeübt werden. Ergibt die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung, als sie der Versicherer bereits erbracht hat, so ist der Mehrbetrag mit 5 Prozent jährlich zu verzinsen.

Der Beklagte zeigte der Klägerin ein Unfallereignis vom 14. Februar 2015 an (Treppensturz), bei dem er sich eine Oberschenkelhalsfraktur rechts zugezogen hatte. In der Folge gab die Klägerin ein Gutachten zur Frage einer Invalidität des Beklagten bei Herrn Dr. med. R. in Auftrag. Dieser stellte eine unfallbedingte Invalidität von 3/10 Beinwert fest (Gutachten vom 25. April 2016, BI. 17 ff. d. A.). Daraufhin rechnete die Klägerin mit Schreiben vom 10. Mai 2016 (BI. 24 f. d. A.) ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 21 % eine Invaliditätsleistung in Höhe von 24.159,00 Euro ab und zahlte diesen Betrag an den Beklagten.

In dem Abrechnungsschreiben teilte die Klägerin dem Beklagten Folgendes mit:

"Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu 3 Jahren nach dem Unfall erneut ärztlich bemessen zu lassen. Ergibt die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung, als wir bereits erbracht haben, zahlen wir den Mehrbetrag einschließlich der bedingungsgemäß vorgesehenen Zinsen nach. Ergibt die Bemessung eine niedrigere Leistung, fordern wir den zuviel gezahlten Betrag zurück."

Nachdem der Beklagte über seinen Versicherungsmakler am 3. Februar 2017 das Recht auf Neubemessung geltend gemacht hatte, holte die Klägerin eine weitere gutachterliche Stellungnahme bei Herrn Dr. D. ein, der nunmehr eine unfallbedingte Invalidität von nur 2/10 Beinwert annahm (Gutachten vom 13. Dezember 2017, BI. 26 ff. d. A.). Daraufhin rechnete die Klägerin mit Schreiben vom 4. Januar 2018 (BI. 33 d. A.) die Invaliditätsleistung ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 14 % neu mit 16.105,74 Euro ab und forderte den Beklagten zur Rückzahlung des Differenzbetrages von 8.053,26 Euro auf, was die Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Schreiben vom 29. Januar 2018 ablehnten.

In ihrer auf Zahlung von 8.053,26 Euro nebst Verzugszinsen seit dem 31. Januar 2018 gerichteten Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, der Beklagte sei zur teilweisen Rückzahlung der erbrachten Versicherungsleistung verpflichtet, da lediglich eine Invalidität von 2/10 Beinwert bestehe. Sie habe sich im Schreiben vom 10. Mai 2016 ausdrücklich auf ihr Recht zur Neubemessung berufen und mithin den Vorbehalt gemäß § 11 IV. AUB 94 ausgeübt. Da nach dem Neubemessungsverlangen des Beklagten ein...

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