Leitsatz (amtlich)
1. Zum Nachweis der Voraussetzungen des sog. Rettungskostenersatzes beim Ausweichen eines Motorradfahrers vor Rehwild.
2. Hat ein Motorradfahrer beim Einfahren in eine Rechtskurve aus geringer Entfernung Rehe wahrgenommen, die sich in unmittelbarer Nähe des rechten Straßenrandes hinter einem Busch befinden, und gerät er beim anschließenden Versuch, nach links auszuweichen, von der Straße ab, kann eine objektiv gebotene Rettungshandlung vorliegen und der Teilkaskoversicherer gehalten sein, dadurch entstandene Schäden am Fahrzeug und an der Kleidung des Fahrers als Aufwendungen zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles zu ersetzen.
Normenkette
VVG §§ 82-83, 90; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 30.11.2021; Aktenzeichen 14 O 30/21) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. November 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 30/21 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die in dem angefochtenen Urteil zugesprochenen Zinsen erst ab dem 11. November 2020 geschuldet sind.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.
III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts Saarbrücken sind vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.295,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten, seinem Fahrzeugversicherer, Ersatz für Schäden anlässlich eines angeblichen Wildunfalles. Er unterhält dort eine Kraftfahrtversicherung "Motor Premium online Privat", bestehend aus Kfz-Haftpflichtversicherung und Fahrzeug-Teilkaskoversicherung (Versicherungsschein Nr. xxx, im Anlagenband); versichertes Fahrzeug ist ein Kraftrad der Marke BMW Modell S 1000 XR, Erstzulassung 15. August 2018 mit dem amtlichen Kennzeichen xxx, die vereinbarte Selbstbeteiligung in der Teilkaskoversicherung beträgt 150,- Euro. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB), Stand: 06/2018, zu Grunde. Am 7. September 2020 war der Kläger mit seinem Sohn auf dem versicherten Motorrad in Frankreich unterwegs, wobei es zu einem Unfall kam und das Motorrad beschädigt wurde. Ausweislich eines von der Beklagten beauftragten Gutachtens der Steinacker Ingenieurgesellschaft mbH vom 15. Oktober 2020 (Bl. 5 ff. GA) belaufen sich die Kosten der Reparatur des Motorrades auf 3.504,81 Euro (netto). Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. Oktober 2020 wurde die Beklagte unter Fristsetzung auf den 10. November 2020 vergeblich zur Leistung aufgefordert.
Der Kläger hat mit seiner Klage Ersatz der Netto-Reparaturkosten für das beschädigte Motorrad sowie weitere 2.500,- Euro (brutto) für Kleidung und Helm, insgesamt 6.004,81 Euro, jeweils zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen seit 11. November 2020, sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 713,76 Euro nebst Zinsen beansprucht. Er hat behauptet, in Höhe einer Kurve, die er mit geschätzt 70 km/h habe befahren wollen, hätten sich hinter einem Busch mehrere Rehe aufgehalten, die die Straße in diesem Moment hätten überqueren wollen; er habe versucht den Rehen auszuweichen, sei dabei auf den Grünstreifen gekommen und gestürzt, durch den Sturz seien seine Motorradkleidung und sein Helm sowie die Motorradkleidung und der Helm seines Sohnes total beschädigt worden. Der Neuwert dieser zwei Jahre alten Gegenstände betrage 2.899,56 Euro, der Zeitwert 2.500,- Euro. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die Darstellung des Unfallgeschehens durch den Kläger in Abrede gestellt, die derjenigen seines Sohnes widerspreche und auch nicht plausibel sei, weil der Kläger, wenn sich die Rehe tatsächlich auf der Straße befunden hätten oder im Begriff gewesen wären, auf die Straße zu laufen, unter Berücksichtigung der Zeit- und Wegeverhältnisse sowie seiner Geschwindigkeit keine Ausweichmöglichkeit mehr besessen hätte und mit den Rehen kollidiert wäre; auch ohne eine Reflexreaktion des Klägers wäre es nicht zu einer Kollision mit den Rehen gekommen.
Das Landgericht Saarbrücken hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen N. und G.. Mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 119 ff. GA), auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Beklagte unter Klagabweisung im Übrigen dazu verurteilt, an den Kläger 4.295,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Mai 2020 zu zahlen. Die Beklagte sei zwar mangels Kollision mit dem Wild nicht aus dem Versicherungsvertrag eintrittspflichtig, der Kläger habe jedoch einen Erstattungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Rettungskostenersatzes, der sich der Höhe nach auf die um den vereinbarten Selbstbehalt verminderten Netto-Reparaturkosten in Höhe von 3.354,81 Euro sowie den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand für die eigene Motorradkleidung des Klägers zum (geschätzten) Zeitwert in Höhe weitere...