Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsprüfung und Gerichtstandswahl bei Mahnverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Bei vorausgegangenem Mahnverfahren ist maßgeblicher Zeitpunkt für die vom Empfangsgericht vorzunehmende Zuständigkeitsprüfung der Zeitpunkt des Akteneingangs gem. § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
2. Die verbindliche Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO im Mahnbescheidsantrag setzt voraus, dass mindestens zwei Gerichtsstände zur Wahl gestanden hatten.
Normenkette
ZPO §§ 12-13, 29, 35, 36 Abs. 1 Nr. 3, §§ 37, 281 Abs. 1, § 696
Verfahrensgang
AG Berlin-Lichtenberg (Beschluss vom 23.01.2007; Aktenzeichen 8 C 479/06) |
AG Reinbek (Aktenzeichen 9 C 284/06) |
Tenor
Zum zuständigen Gericht wird das AG Lichtenberg bestimmt.
Gründe
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte mit einem Mahnbescheid des AG Hünfeld, der ihr am 22.12.2005 unter ihrem damaligen Wohnsitz im Bezirk des AG Reinbek zugestellt worden ist, eine Forderung aus Versicherungsvertrag i.H.v. 687 EUR nebst Zinsen geltend gemacht. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden sollte, war im Mahnbescheid das AG Reinbek benannt. Im September 2006 hat die Beklagte ihren Wohnsitz in Berlin im Bezirk des AG Lichtenberg begründet. Die Akten sind nach Abgabe am 26.10.2006 beim AG Reinbek eingegangen. Die Beklagte hat wegen ihres Wohnsitzwechsels dessen Zuständigkeit gerügt und "einer Abgabe des Rechtsstreits an das AG Lichtenberg zugestimmt". Die Klägerin hat einer solchen Abgabe "zugestimmt, sofern das hier erkennende Gericht die dortige Zuständigkeit für gegeben halte". Das AG Reinbek hat sich durch Beschluss vom 8.12.2006 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit "antragsgemäß" an das AG Lichtenberg verwiesen. Dieses hat die Parteien darauf hingewiesen, dass es im Hinblick auf den für das AG Reinbek gegebenen besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO nicht beabsichtige, den Rechtsstreit zu übernehmen. Es hat sich durch Beschluss vom 23.1.2007 für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG Schleswig in Schleswig zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.1. Die Vorlage ist nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 37 ZPO im Rahmen eines negativen Kompetenzkonflikts zulässig. Sie führt zur Bestimmung des AG Lichtenberg zum zuständigen Gericht.
2. a) Das AG Reinbek ist - vorbehaltlich einer wirksamen Verweisung nach § 281 Abs. 1 ZPO (s.u. Buchst. c) - nach § 29 ZPO für die vorliegende Klage örtlich zuständig, weil die Klägerin aus abgetretenem Recht einen Anspruch aus einem Vertragsverhältnis geltend macht, der ggf. in seinem Bezirk zu erfüllen wäre. Erfüllungsort für diese Zahlungspflicht ist nach §§ 270 Abs. 1 und 4, 269 Abs. 1 BGB der Ort, an dem die Beklagte zur Zeit des Abschlusses des Versicherungsvertrages ihren Wohnsitz hatte, weil die Vertragsparteien - soweit ersichtlich - keinen anderen Erfüllungsort bestimmt hatten, und sich auch aus der Natur des Schuldverhältnisses kein anderer Erfüllungsort ergibt. Die Beklagte wohnte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages im Bezirk des AG Reinbek. Durch ihren späteren Wohnsitzwechsel im September 2006 wurde der Erfüllungsort nicht geändert.
b) Nach dem Wohnsitzwechsel trat neben den besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO beim AG Reinbek der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes nach §§ 12, 13 ZPO beim AG Lichtenberg. Dem steht § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO - Fortdauer der Zuständigkeit des Prozessgerichts - schon deshalb nicht entgegen, weil im Mahnverfahrens für die vom Empfangsgericht vorzunehmende Zuständigkeitsprüfung der Zeitpunkt des Akteneingangs gem. § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO maßgeblich ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 696 Rz. 5 und 6 m.w.N.) und zur Zeit des Akteneingangs am 26.10.2006 beim AG Reinbek die Beklagte bereits in Berlin wohnte. Die Zuständigkeit des AG Lichtenberg lässt sich auch nicht mit der Begründung verneinen, dass die Klägerin durch die Angabe des Prozessgerichts im Mahnbescheidsantrag nach § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ihr Wahlrecht gem. § 35 ZPO ausgeübt hätte und nach Zustellung des Mahnbescheids an diese Wahl - hier des AG Reinbek - unwiderruflich gebunden gewesen wäre (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 35 Rz. 2). Die Ausübung dieser Wahl setzt nämlich voraus, dass mindestens zwei Gerichtsstände zur Verfügung gestanden hätten (BGH v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, MDR 1993, 576 = NJW 1993, 1273). Das war hier aber noch zur Zeit der Zustellung des Mahnbescheids nicht der Fall. Insoweit wird eine Bindung z.B. auch dann nicht für gegeben erachtet, wenn dem Kläger an sich eine Wahl gar nicht möglich war, weil auf Grund einer Vereinbarung ein ausschließlicher Gerichtsstand vor einem anderen Gericht bestand (BGH v. 22.6.1993 - X ARZ 340/93, MDR 1994, 944 = NJW 1993, 2810), oder die Wahl fehlerhaft war (Senat, Beschl. v. 27.9.2005 - 2 W 186/05).
c) Im Bestimmungsverfahren ist der Senat grundsätzlich an vorangegangene Verweisungsbeschlüsse gebunden (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Dabei kann offen bleiben...