Leitsatz (amtlich)

1. Übt die Schuldnerin (GmbH) keine werbende Tätigkeit mehr aus, begründet die Durchführung und Abwicklung des Insolvenzverfahrens durch den Geschäftsführer für sich genommen keine Zuständigkeit im Sinne des § 3 As. 1 Satz 2 InsO an dessen Wohnsitz, und zwar auch dann nicht, wenn er die Geschäftsbücher und andere Unterlagen dorthin mitgenommen hat.

2. Der Verweisungsbeschluss eines Insolvenzgerichts ist willkürlich und deshalb nicht bindend, wenn dieses das Verfahren ohne Ermittlungen nach § 5 Abs. 1 InsO an ein anderes Insolvenzgericht verwiesen hat, obwohl für diese Anlass bestand.

3. Ein solcher Anlass ist anzunehmen, wenn sich im Zusammenhang mit dem Verweisungsantrag der Schuldnerin nach dem Gesamtbild des Verfahrens der Verdacht einer Gerichtsstandserschleichung im Zuge einer sog. gewerbsmäßigen Firmenbestattung ergibt.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 101 IN 5203/03)

AG Neumünster (Aktenzeichen 93 IN 88/03)

 

Tenor

Zum örtlich zuständigen Gericht wird das Amtsgericht Neumünster bestimmt.

 

Tatbestand

Die Schuldnerin ist beim Amtsgericht Eckernförde zur HRB-Nr. …XX… im Handelsregister eingetragen. Mit notarieller Urkunde vom 1.07.2003 übertrugen die seinerzeitigen Gesellschafter A – dieser zugleich als Geschäftsführer – und B ihre Gesellschaftsanteile auf den Erwerber C in Berlin. Eine Zusicherung über den Fortgang der Gesellschaft gab der Erwerber nicht ab. Ein eventueller Kaufpreis sollte Gegenstand einer gesonderten Vereinbarung sein. In der sogleich anberaumten Gesellschafterversammlung wurde beschlossen, den Geschäftsführer A abzuberufen und C zum neuen Geschäftsführer zu bestellen. Gleichzeitig wurden die Firma der Gesellschaft in „X GmbH” und der Gegenstand des Unternehmens geändert. Eine Sitzverlegung wurde nicht beschlossen. Die Änderungen wurden am 14.08.2003 in das Handelsregister eingetragen.

Mit Schreiben vom 10.09.2003 beantragte der Geschäftsführer C beim Amtsgericht Neumünster die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Verweisung an das für seinen Wohnsitz örtlich zuständige Insolvenzgericht Amtsgericht Charlottenburg. Er führte darin aus, er habe den Gewerbebetrieb abgemeldet, die bestehenden Arbeitsverhältnisse aufgelöst, die gemieteten Räumlichkeiten aufgegeben und sämtliche Geschäftsunterlagen in seinen Zugriffsbereich in Berlin gebracht. Eine (namentlich nicht benannte) „Wirtschaftsberatungsgesellschaft” mit einer Geschäftsadresse in Berlin, sei beauftragt zu prüfen, ob im Rahmen eines neuen Unternehmenskonzeptes der Fortbestand gesichert werden könne oder eine tatsächliche Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit drohe. Mit der Anschrift der Wirtschaftsberatungsgesellschaft sei sichergestellt, daß Post entgegengenommen und Zustellungen erfolgen könnten. Zum Nachweis „aktiver Abwicklungstätigkeiten” führte der Geschäftsführer C einen umfassenden Katalog üblicher einschlägiger Aktivitäten auf.

Das Amtsgericht Neumünster hat sich durch Beschluß vom 18.09.2003 ohne weiteres für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen, da der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit in dessen Bezirk liege. Das Amtsgericht Charlottenburg hat sich durch Beschluß vom 12.01.2003 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es sei örtlich nicht zuständig. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei eine wirtschaftliche Tätigkeit der GmbH in seinem Bezirk nicht festzustellen. Der Verweisungsbeschluß sei nicht bindend, da das Amtsgericht Neumünster notwendige Ermittlungen unterlassen habe. Es hätten zahlreiche Anhaltspunkte für einen Fall sogenannter Zuständigkeitserschleichung zum Zwecke „gewerbsmäßiger Firmenbestattung” vorgelegen, der hier zu vermuten sei. Bei der Wirtschaftsberatungsgesellschaft handele es sich um die inzwischen gerichtsbekannte Y – GmbH, die Proforma-Geschäftsführer bestelle und nur eine Briefkastenadresse unterhalte. Auskünfte würden von ihr nicht oder nur schleppend erteilt. Sie werbe in der Presse, im Insolvenzfall binnen 24 Stunden durch Sitzverlegung, Geschäftsführerwechsel und Entlastung der alten Geschäftsführer zu helfen, wie in ca. 60 Fällen nach entsprechendem Muster praktiziert. Das Vorgehen habe bezweckt, die Rechtsverfolgung gegen die Verantwortlichen zu erschweren und zu verhindern.

 

Entscheidungsgründe

Die Vorlage ist entsprechend §§ 4 InsO; 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO im Rahmen eines negativen Kompetenzkonflikts zulässig. Zum zuständigen Gericht war das Amtsgericht Neumünster zu bestimmen.

Maßgeblich für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit nach § 3 InsO ist der Zeitpunkt des Eingangs des Eröffnungsantrags beim Insolvenzgericht (BayObLG BB 2003, 2370; OLG Frankfurt NJW-RR 2002, 1481; OLG Hamm NZI 2000, 220). Schon auf Grund der Angaben im Insolvenzantrag lag entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Neumünster der Mittelpunkt einer selbständi...

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