Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreuung trotz Vollmacht bei Zweifeln an deren Wirksamkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine Vollmacht macht eine Betreuung schon dann nicht entbehrlich, wenn festgestellt wird, dass wegen eines Widerrufs zumindest begründete Zweifel an der Vollmacht bestehen, denn schon in diesem Fall wäre eine Vollmacht zur Besorgung von Geschäften weniger geeignet als eine Betreuung. Auch die Feststellung von begründeten Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Hinblick auf den Widerruf bedarf grundsätzlich der Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme.
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 2 Nr. 2; FGG §§ 12, 15
Verfahrensgang
LG Kiel (Beschluss vom 01.06.2005; Aktenzeichen 3 T 493+183/05) |
AG Eckernförde (Aktenzeichen 3-XVII-P-178) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Betroffene leidet seit 1975 an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Unter dem 17.12.2001 erteilte er dem Beteiligten zu 2) - seinem Bruder - eine umfassende notariell beglaubigte Vorsorgevollmacht und benannte darin als Ersatzbevollmächtigte dessen Ehefrau und beide Söhne. Ferner erteilte er unter dem 8.4.2002 dem Beteiligten zu 2) eine notariell beglaubigte Generalvollmacht. Mit Schreiben vom 21.9.2004 bat er das AG, ihm L. - den Ehemann der die Vollmachten beglaubigenden Notarin - zum Betreuer zu bestellen, weil er schon lange den Eindruck habe, dass der Beteiligte zu 2) ihn übervorteile, insb. die Vorsorgevollmacht zu eigenem Vorteil ausnutze. In der Zeit vom 14.-21.10.2004 wurde der Betroffene im Kreiskrankenhaus Eckernförde wegen einer beginnenden Exazerbation seiner Krankheit behandelt. Durch Beschluss vom 21.10.2004 hat das AG L. zum Betreuer bestellt mit den Wirkungskreisen Regelung der finanziellen Angelegenheiten, Vertretung vor Ämtern und Behörden sowie Gesundheitsfürsorge. Hiergegen hat der Beteiligte zu 2) unter dem 29.10.2004 Beschwerde eingelegt. Mit notariellen Urkunden vom 10.11.2004 widerrief der Betroffene die Vorsorgevollmacht und die Generalvollmacht ggü. dem Beteiligten zu 2) bzw. dessen Ehefrau. Durch Beschluss vom 24.11.2004 hat das AG L. entlassen und als neue Betreuerin die Beteiligte zu 1) bestellt mit dem zusätzlichen Aufgabenkreis Überprüfung der Tätigkeit des Bevollmächtigten aus der Vollmachtsurkunde vom 8.4.2002. Der Beteiligte zu 2) hat daraufhin seine Beschwerde weiter mit dem Ziel der Aufhebung der Betreuung aufrechterhalten. Er hat geltend gemacht, einer Betreuung bedürfe es nicht, weil der Betroffene auf Grund der Vollmachten durch ihn - den Beteiligten zu 2) - hinreichend vertreten werde. Die Widerrufserklärungen seien unwirksam, weil der Betroffene auf Grund seiner Krankheit zur Zeit ihrer Abgabe geschäftsunfähig gewesen sei. Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Gegen seinen Beschluss, auf den zur Sachdarstellung ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 91-94 d.A.), richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligen zu 2).
II. Die nach §§ 27, 29, 20 FGG zulässige weitere Beschwerde ist begründet. Das Erstbeschwerderecht des Beteiligen zu 1) bestand - wie klarstellend anzumerken ist - nicht auf Grund seiner in Anspruch genommenen Stellung als Bevollmächtigter (BayObLG v. 9.4.2003 - 3Z BR 242/02, BayObLGReport 2003, 233 = FamRZ 2003, 1219), sondern seiner Stellung als Bruder des Betroffenen (§ 69g Abs. 1 FGG). Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 29 FGG; 564 ZPO).
Das LG hat ausgeführt: Es könne nicht festgestellt werden, dass der Betroffene bei Widerruf der Vollmachten am 10.11.2004 geschäftsunfähig gewesen sei. Er lehne seit vielen Monaten - vorher und seither - eine Vertretung durch den Beteiligten zu 2) ab. Der ihn behandelnde Facharzt Dr. L. halte ihn für geschäftsfähig. Diese Ausführungen sind rechtsfehlerhaft.
1. Nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB ist eine Betreuung nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Vorliegend hat der Betroffene dem Beteiligten zu 2) Vollmachten erteilt, die grundsätzlich die Anordnung einer Betreuung entbehrlich machen. Das gilt jedoch dann nicht, wenn festgestellt wird, dass der Betroffenen diese Vollmachten wirksam widerrufen hat oder dass wegen des Widerrufs zumindest begründete Zweifel an ihrer Wirksamkeit bestehen, denn schon im letztgenannten Fall wäre eine Vollmacht zur Besorgung von Geschäften weniger geeignet als eine Betreuung (BayObLG v. 25.11.1993 - 3Z BR 190/93, FamRZ 1994, 720; Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl., § 1896 Rz. 11). Diese Frage, deren Beantwortung hier davon abhängt, ob der Betroffenen zur Zeit des Widerrufs nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war oder zumindest begründete Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit bestanden, hat das Gericht nach § 12 FGG von Amts wegen aufzuklären. Auch die Feststellung von begründeten Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bedarf - sofern nicht...