Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung einer fehlerhaften Verweisung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein nicht näher begründeter Verweisungsbeschluss ist nicht willkürlich - mithin bindend - wenn das an sich nach §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständige Gericht den Rechtsstreit an das Gericht verweist, das die Parteien nach Rechtshängigkeit des Rechtsstreits als örtlich zuständig vereinbart haben.

 

Verfahrensgang

LG Rostock (Beschluss vom 05.07.2004; Aktenzeichen 9 O 233/04)

LG Flensburg (Beschluss vom 11.06.2004; Aktenzeichen 3 O 131/04)

 

Tenor

Zum zuständigen Gericht wird das LG Rostock bestimmt.

 

Gründe

Der Kläger hat die Beklagte mit der am 5.3.2004 zugestellten Klage im Urkundenprozess vor dem LG Flensburg auf Zahlung eines Teilbetrages von 30.000,00 Euro nebst Zinsen in Anspruch genommen. Im Mai/Juni 2004 haben die Parteien vereinbart, den Rechtsstreit vor dem LG Rostock zu führen. Auf Antrag des Klägers hat sich das LG Flensburg durch Beschluss vom 11.6.2004 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Rostock verwiesen. Das LG Rostock hat sich nach vorangegangenem Hinweis an die Parteien durch Beschluss vom 5.7.2004 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem OLG Schleswig vorgelegt.

Die Vorlage ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zulässig. Sie führt zur Bestimmung des LG Rostock als zuständiges Gericht.

Für die Klage war zunächst das LG Flensburg als allgemeiner Gerichtsstand des Wohnsitzes örtlich zuständig (§§ 12, 13 ZPO). Allerdings sind im Bestimmungsverfahren grundsätzlich die Bindungswirkungen eines - auch fehlerhaften - Verweisungsbeschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zu beachten. Entgegen der Auffassung des LG Rostock ist der Verweisungsbeschluss des LG Flensburg v. 11.6.2004 bindend. Ein Verweisungsbeschluss bindet ausnahmsweise nur dann nicht, wenn er auf Willkür beruht, d.h., wenn ihm jede rechtliche Grundlage fehlt, er bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, BGHReport 2002, 946 = MDR 2002, 1450 = NJW-RR 2002, 1498; v. 10.6.2003 - X ARZ 92/03, BGHReport 2003, 1305 = NJW 2003, 3201) reicht hierfür nicht aus, wenn der Verweisungsbeschluss von einer "bekannten Rechtsprechung" bzw. einer "ganz überwiegenden oder fast einhelligen Rechtsauffassung" abweicht, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienbindung grundsätzlich fremd ist (anders noch OLG Schleswig, Beschluss vom 24.5.2000, NZBau 2001, 331 und zur hier gegebenen Problematik BayObLG v. 17.7.2002 - 1 Z AR 74/02, Rpfleger 2002, 629). So liegt es hier. Zwar wird in der Rechtsprechung und Literatur - wie vom LG Rostock zutreffend zitiert (vgl. insb. BGH NJW 1953, 1140; v. 6.10.1993 - XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126) - nahezu einhellig vertreten, dass - wenn die Klage beim zuständigen Gericht erhoben worden ist - es durch die nachträgliche Prorogation eines anderen Gerichts gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht mehr unzuständig werde, weil im öffentlichen Interesse, nämlich zur Vermeidung der Inanspruchnahme mehrerer Gerichte, die Parteidisposition begrenzt werde. Andererseits finden sich in der veröffentlichten - wenn auch - älteren Rechtsprechung, aber auch in der neueren Literatur abweichende Stimmen (zum Beispiel LG Flensburg SchlHA 1979, 38; LG Waldshut-Tiengen v. 31.8.1984 - 2 O 281/84, MDR 1985, 941; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 261 Rz. 93; für zulässige Prorogation nach Verweisung OLG Celle MDR 1957, 679; OLG Düsseldorf NJW 1961, 2355; OLG Oldenburg MDR 1962, 60; w. N. bei Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 38 Rz. 58 Fn. 202). Begründet wird diese Auffassung damit, dass es den Parteien aus praktischen Erwägungen gestattet sein müsse, die ihnen verbliebene Dispositionsbefugnis voll auszunutzen (Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 261 Rz. 93). Zwar enthält der Verweisungsbeschluss des LG Flensburg keinerlei Begründung und lässt insb. eine Auseinandersetzung mit der "ganz herrschenden Meinung" (so Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 261 Rz. 93) vermissen (vgl. insoweit zur Begründung von Willkür Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 281 Rz. 17). Aber auch das reicht vorliegend zur Annahme fehlender Bindung nicht aus, weil die Parteien mit der Verweisung einverstanden sind (BGH v. 10.6.2003 - X ARZ 92/03, BGHReport 2003, 1305 = NJW 2003, 3201 [3202]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1211731

MDR 2005, 233

OLGR-BHS 2004, 494

ProzRB 2005, 30

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge