Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwaltsbeiordnung im Sorgerechtsverfahren bei Kindeswohlgefährdung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen eines familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahren zur Prüfung einer möglichen Kindeswohlgefährdung im Sinne des §§ 1666, 1666a BGB ist dem sorgeberechtigten Elternteil in der Regel ein Rechtsanwalt beizuordnen. Denn auch ein bemittelter Beteiligter wird dabei im Regelfall wegen der Bedeutung der Sache einen Anwalt hinzuziehen. Dies gilt auch im Rahmen eines Erörterungstermins gemäß § 157 FamFG.
2. Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer Anwaltsbeiordnung sind auch die subjektiven Fähigkeiten des sorgeberechtigten Elternteils zu berücksichtigen.
Normenkette
FamFG § 78 Abs. 2, § 157; BGB §§ 1666, 1666a
Verfahrensgang
AG Flensburg (Entscheidung vom 04.08.2011; Aktenzeichen 96 F 177/11) |
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Flensburg vom 4. August 2011 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 26. September 2011 wird abgeändert.
Der Kindesmutter wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt B. bewilligt.
Gründe
Die nach § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 ZPO statthafte und im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Kindesmutter hat in der Sache Erfolg.
Der Kindesmutter ist im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe auch ein Rechtsanwalt beizuordnen.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Kindschaftsverfahren, so dass eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, § 78 Abs. 2 FamFG. Ein Anwalt wird in solchen Verfahren gemäß § 78 Abs. 2 FamFG nur beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.
Hierbei ist entscheidend darauf abzustellen, ob ein bemittelter Rechtssuchender in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Hierbei sind auch die subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten zu berücksichtigen (vgl. BGH FamRZ 2010, Seite 1427 ff.).
Unter der Berücksichtigung dieser Umstände erscheint im vorliegenden Fall die Beiordnung eines Rechtsanwaltes geboten (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2010, Seite 1094 f.).
Im vorliegenden Verfahren erging am 22. Juli 2011 eine Gefährdungsmitteilung des Jugendamtes gemäß § 8 a Abs. 3 SGB VIII. Nach dem neu geschaffenen § 157 FamFG hat das Familiengericht in Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB mit den Eltern zur erörtern, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls, insbesondere durch öffentliche Hilfen, begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme öffentlicher Hilfen haben kann.
Um einen solchen Termin zur Erörterung hat es sich vorliegend gehandelt.
Es dürfte sich hier auch um eine schwierige Sach- und Rechtslage handeln, die eine Vertretung durch einen Anwalt geboten erscheinen lässt.
Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass wohl zumindest der Anfangstatbestand einer Kindeswohlgefährdung schon vorlag, da es ansonsten nicht zu einer Gefährdungsmitteilung des Jugendamtes gekommen wäre.
Zu beachten sind auch die massiven Folgen, die sich dann für die Kindesmutter im Rahmen eines solchen Verfahrens ergeben können. Zum einen hat das Familiengericht die Möglichkeit, Weisungen und Auflagen zu erteilen, § 1666 Abs. 1, 3 BGB. Insbesondere wenn und soweit diese Weisungen und Auflagen nicht befolgt werden, kann bei Fortbestehen der erheblichen Kindeswohlgefährdung ein Entzug des Sorgerechts oder Teile des Sorgerechts in Betracht kommen. Gerade im Hinblick auf den dann im Raum stehenden erheblichen Eingriff in das Elternrecht gemäß Art. 6 GG erscheint die Vertretung durch einen Rechtsanwalt regelmäßig geboten, da wegen der Bedeutung der Angelegenheit auch ein bemittelter Rechtssuchender regelmäßig einen Anwalt beauftragt hätte.
Ergänzend ist auch zu berücksichtigen, dass das Familiengericht (wohl auf freiwilliger Basis) mit Zustimmung der Kindesmutter Auflagen zur Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe erteilt hat. Eine solche Maßnahme setzt grundsätzlich auch eine drohende Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 BGB voraus, so dass der Annahme des Familiengerichts, das hier überhaupt keine Kindeswohlgefährdung im Raum stand, nicht gefolgt werden kann.
Aufgrund der in der Mitteilung des Jugendamtes vom 22. Juli 2011 geschilderten Erziehungsschwierigkeiten spricht auch einiges dafür, dass auch unter Berücksichtigung der subjektiven Fähigkeiten der Kindesmutter diese wohl nicht in der Lage ist, ohne ausreichende anwaltliche Beratung die Tragweite des Verfahrens und insbesondere die Folgen einer Nichtzusammenarbeit mit dem Jugendamt und angebotenen öffentlichen Hilfen zu erkennen (vgl. so zum ganzen OLG Frankfurt, FamRZ 2010, Seite 1094 f.).
Fundstellen