1 Leitsatz
Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines selbstständigen Beweisverfahrens angeordnet wird, ist nicht anfechtbar; dies gilt auch dann, wenn die Anordnung durch das Beschwerdegericht erfolgt.
2 Normenkette
§ 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO
3 Das Problem
Auf Antrag von Wohnungseigentümer K wird ein selbstständiges Beweisverfahren angeordnet und ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt. Gegenstand des Gutachtens ist u. a., ob in der Wohnung des K Wasser eintritt und Probleme bei der Regenwasserableitung vorhanden sind. Der Sachverständige teilt nach Durchführung eines Ortstermins mit, für eine noch ausstehende Begutachtung des Dachrandes seien Bauteilöffnungen erforderlich, für die durch die Parteien Handwerker beauftragt werden müssten; zur Beantwortung der Fragen des Beweisbeschlusses im Innenbereich seien hingegen alle erforderlichen Feststellungen getroffen.
Nachdem die Parteien mitteilen, keine Handwerker zu stellen, erlässt das AG einen Beschluss, wonach das selbstständige Beweisverfahren nur noch für den Innenbereich weitergeführt werde und im Übrigen beendet sei. Auf die sofortige Beschwerde des K hebt das LG den Beschluss auf und gibt das Verfahren zur weiteren Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens an das AG zurück. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Die Rechtsbeschwerde sei nicht statthaft. Zwar habe das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zur Klärung der Frage zugelassen, ob die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss zulässig sei, der das selbstständige Beweisverfahren für beendet erkläre. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht sei aber für das Rechtsbeschwerdegericht nicht bindend, wenn die Rechtsbeschwerde gegen die angefochtene Entscheidung bereits nicht statthaft sei. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung könne nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden. So liege der Fall. Ein Beschluss, mit dem die Durch- oder Fortführung eines selbstständigen Beweisverfahrens angeordnet werde, sei nicht anfechtbar. Denn die Entscheidung, das selbstständige Beweisverfahren fortzusetzen, sei mit der Entscheidung, dem Antrag auf Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens stattzugeben, vergleichbar.
5 Hinweis
Problemüberblick
Durch eine Zulassung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde nur dann zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich eröffnet ist, nicht aber in den Fällen, in denen die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist. Die Bindungswirkung der Rechtsmittelzulassung umfasst bei der Rechtsbeschwerde nur die in § 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsvoraussetzungen. Sie kann hingegen nicht dazu führen, dass ein gesetzlich nicht vorgesehener Instanzenzug eröffnet wird. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann daher nicht durch den Ausspruch eines Gerichts der Anfechtung unterworfen werden.
Bauteilöffnungen
Ob eine gerichtliche Anordnungsbefugnis gegenüber einem Sachverständigen zu Bauteilöffnungen gegen dessen Willen besteht, ist umstritten (umfassend Dötsch, NZBau 2008, S. 217 ff.). Im Ergebnis spricht wenig dafür, dem Gericht diese Möglichkeit einzuräumen. Ein Gericht soll in einer Wohnungseigentumsanlage einem am selbstständigen Beweisverfahren nicht beteiligten Dritten im Übrigen nicht aufgeben können, eine Bauteilöffnung in seiner Wohnung zum Zwecke der Beweissicherung zu dulden.
Ob eine Bauteilöffnung § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG unterfällt, ist m. E. bislang nicht diskutiert. Ich meine, die Frage sei von den Wohnungseigentümern selbst zu klären. Sie hat keine untergeordnete Bedeutung.
6 Entscheidung
BGH, Beschluss v. 15.9.2022, V ZB 71/21