1 Leitsatz
Auch nach der WEG-Reform 2020 kann ein Wohnungseigentümer eine Beeinträchtigung seines Sondereigentums, die von anderen Sondereigentümern ausgeht, selbstständig abwehren.
2 Normenkette
§ 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K ist Eigentümer der im 2. OG hinten links gelegenen und von ihm vermieteten Wohnung. Wohnungseigentümer B ist der psychisch erkrankte Eigentümer der darunterliegenden baugleichen Wohnung. K und B streiten darum, ob und in welchem Umfang B sich übermäßig laut verhält. K behauptet, B störe regelmäßig zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten. Wahrzunehmen seien Gesänge, Geschrei und sonstige laute Äußerungen. Dabei sei das Haus nicht sehr hellhörig.
4 Die Entscheidung
K stehe gegen B kein Anspruch auf Unterlassung zu! Auch nach der WEG-Reform könne der einzelne Wohnungseigentümer zwar Beeinträchtigungen seines Sondereigentums, die von den übrigen Wohnungseigentümern ausgehen, gem. § 1004 BGB i. V. m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG abwehren. Er könne also verlangen, dass die anderen Wohnungseigentümer von ihrem Sondereigentum in einer Weise Gebrauch machten, dass keinem ein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil entstehe. Unwesentliche Beeinträchtigungen seien indes hinzunehmen. Unvermeidbar und hinzunehmen seien ferner alle mit der zweckgemäßen Bestimmung verbundenen Geräusche. Ein abwehrfähiger konkreter Nachteil könne beispielsweise eine wiederholte "Geräuschentfachung" sein, wie z. B. Geschrei, laute Musik, Springen, Trampeln, Möbelrücken, Türenknallen von einigem Gewicht und/oder nicht unerheblichen Ausmaßes und/oder einiger Dauer (Hinweis auf Mehle, SWK-WEG, 1. Aufl., Gebrauch des Sondereigentums). Ein abwehrfähiger Nachteil sei auch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der von B ausgehenden "Geräuschentfachung" um die Folge eines wegen der psychischen Erkrankung nicht steuerbaren Verhaltens handele. Im Fall habe die Beweisaufnahme indes nicht die für eine Abwehrfähigkeit erforderliche Intensität erwiesen.
5 Hinweis
- Dem Wohnungs- als Sondereigentümer steht auch nach der WEG-Reform der Schutz seines Sondereigentums beispielsweise nach §§ 227 Abs. 2, 1004 Abs. 1 BGB gegen jeden Wohnungseigentümer, Drittnutzer und Dritten zu. Ferner kann nur der Wohnungs- als Sondereigentümer nach § 985 BGB Herausgabe seines Sondereigentums verlangen und Schutz nach §§ 823ff. BGB geltend machen. Aus § 9a Abs. 2 Fall 1 WEG folgt nichts anderes. Dieser behandelt nur die Rechte aus dem gemeinschaftlichen Eigentum. Rechte aus dem Sondereigentum stehen daher ausschließlich dem Sondereigentümer zu.
- Wird das Sondereigentum etwa wie im Fall durch die Zuführung von Geräuschen wesentlich beeinträchtigt und geht die Störung von einem anderen Wohnungseigentümer aus, kann ein Wohnungs- als Sondereigentümer gegen diese Störung nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG vorgehen und Unterlassung und/oder Beseitigung verlangen. Daneben besteht die Möglichkeit, nach § 1004 Abs. 1 BGB Unterlassung und/oder Beseitigung zu verlangen. Entsprechendes gilt, wenn ein anderer Wohnungseigentümer gegen seine Pflicht verstößt, die gesetzlichen Regelungen, Vereinbarungen und Beschlüsse einzuhalten, und es dadurch zu einer konkreten Störung des Sondereigentums kommt.
- Wird das Sondereigentum von einem Drittnutzer oder Nachbarn gestört, besteht die Möglichkeit, gegen die Störung im Rahmen von §§ 903, 906 BGB nach § 1004 Abs. 1 BGB mit dem Verlangen auf Unterlassung und/oder Beseitigung vorzugehen. Der Drittnutzer ist außerdem den verdinglichten Vereinbarungen unterworfen.
- Werden das gemeinschaftliche und das Sondereigentum beeinträchtigt, ist der Wohnungs- als Sondereigentümer ungeachtet § 9a Abs. 2 WEG i. V. m. § 1004 Abs. 1 BGB, §§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 WEG berechtigt, konkrete Störungen seines Sondereigentums nach § 1004 Abs. 1 BGB und/oder § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG selbst abzuwehren. Das Sondereigentum darf allerdings nicht nur deshalb beeinträchtigt sein, weil das gemeinschaftliche Eigentum beeinträchtigt ist. Dass etwa der Verkehrswert des Sondereigentums sinkt oder dessen Vermietbarkeit durch eine Störung des gemeinschaftlichen Eigentums erschwert wird, reicht nicht. Die Geruchs- und Lärmbelästigungen müssen das Sondereigentum aber auch nicht in einem besonderen Maß treffen. In Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum kann nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer handeln.
6 Entscheidung
LG Frankfurt a. M., Urteil v. 15.7.2021, 2-13 S 88/20