Entscheidungsstichwort (Thema)
Aktiengesellschaft mit weniger als fünf Arbeitnehmern: Zusammensetzung des Aufsichtsrats, Geltungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes
Leitsatz (amtlich)
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG ist im Wege der teleologischen Reduktion nach Sinn und Zweck des Gesetzes dahin auszulegen, dass Aktiengesellschaften mit weniger als fünf Arbeitnehmern nicht erfasst werden.
Normenkette
AktG § 96 Abs. 1; DrittelbG § 1 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Gera (Beschluss vom 18.11.2010; Aktenzeichen 2 HKO 85/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschl. des LGs Gera vom 18.11.2010, Az. 2 HKO 85/10, abgeändert:
Es wird festgestellt, dass für die Antragsgegnerin das Drittelbeteiligungsgesetz nicht gilt.
Die Gerichtskosten hat die Antragsgegnerin zu tragen; Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Antragsgegnerin (die Antragsgegnerin im Folgenden: DEWB AG).
Wegen des Tatbestandes wird zunächst Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Beschluss.
Das LG Gera hat durch Beschl. v. 18.11.2010 festgestellt, dass sich der AR der DEWB AG nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) zusammensetzt.
Der Bf. hat gegen diesen am 03.12.2010 im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemachten Beschl. mit einem beim LG Gera am 21.12.2010 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt.
Er vertritt die von der DEWB AG in erster Instanz vertretene Ansicht, das Drittelbeteiligungsgesetz sei erst ab drei bzw. fünf Arbeitnehmern anwendbar und gelte daher nicht für die DEWB AG mit nur zwei Arbeitnehmern.
Der Bf. beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des LGs Gera vom 18.11.2010 den Antrag des Antragstellers vom 16.04.2010, dass der Aufsichtrat der DEWB AG nach den Bestimmungen des DrittelbG zu bilden ist, zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung des Beschwerdeführers vom 21.12.2010 (Bl. 73 ff. d.A.) und seine Schriftsätze vom 16.03.2011 (Bl. 103 ff. d.A.) und 23.05.2011 (Bl. 116 f. d.A.) sowie auf die Beschwerdeerwiderung des Antragstellers vom 14.01.2011 (Bl. 91 ff. d.A.) und seinen Schriftsatz vom 11.05.2011 (Bl. 111 ff. d.A.).
Die Aufsichtsratsmitglieder der DEWB AG hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II. Die Beschwerde ist statthaft (§ 99 Abs. 3 Satz 2 AktG) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; insbesondere ist die Beschwerde form- und fristgemäß eingelegt (§ 99 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 4 AktG, § 99 Abs. 1 AktG iVm. § 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 FamFG). Die Beschwerdebefugnis des Beschwerdeführers ergibt sich aus §§ 99 Abs. 4 Satz 3, 98 Abs. 2 Nr. 1 AktG.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Entsch. des LGs Gera beruht auf einer Verletzung des Gesetzes.
1. Zutreffend hat das LG erkannt, dass der Antragsteller antragsbefugt ist nach § 98 Abs. 2 Nr. 2 AktG. Nach dieser Vorschrift ist "jeder Aktionär" antragsberechtigt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist § 245 Nr. 1 und 3 AktG mangels Regelungslücke nicht analog anzuwenden.
2. Entgegen der Auffassung des LGs setzt sich aber der AR der DEWB AG nicht gem. § 96 Abs. 1 AktG iVm. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 DrittelbG aus Mitgliedern der Aktionäre und der ArbN zusammen.
Für die DEWB AG gilt das DrittelbG nicht.
Sie unterliegt nicht dem Geltungsbereich des DrittelbG.
Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG besteht zwar ein Mitbestimmungsrecht im AR in einer Aktiengesellschaft mit idR weniger als 500 Arbeitnehmern, die vor dem 10.08.1994 eingetragen worden ist und keine Familiengesellschaft ist.
Der Wortlaut enthält auch keine Einschränkung dahin, dass ein Mitbestimmungsrecht nicht besteht, wenn in der Aktiengesellschaft weniger als fünf ArbN beschäftigt sind.
Nach Auffassung des Senats ist § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG aber im Wege der teleologischen Reduktion, nach Sinn und Zweck des Gesetzes dahin auszulegen, dass Aktiengesellschaften mit weniger als fünf Arbeitnehmern nicht erfasst werden. Gegen den vordergründigen, nur scheinbar eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist eine verfassungskonforme Auslegung zulässig, wenn eine verdeckte Regelungslücke besteht, die eine teleologische Reduktion in Richtung auf das eigentliche Ziel des Gesetzgebers ermöglicht (BGH, Beschl. v. 20.01.2005 - Az. IX ZB 134/04, NJW 2005, 1508-1512, juris Rn. 16). Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke iS einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Urt. vom 26.11.2008 - Az. VII ZR 200/05, BGHZ 179, 2743, juris Rn. 22). Soweit eine Lücke vorliegt, wird die Norm auf Sachverhalte die unter ihren Wortlaut fallen, aber ...