Leitsatz (amtlich)
1.
Nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln erlischt nach Ablauf der Bindefrist (§ 19 Abs. 3 VOL/A) das Angebot eines Bieters gem. §§ 146, 148 BGB und ist damit für das Ausschreibungsverfahren nicht mehr existent.
2.
Die Wertung eines wegen Überschreitung der Bindefrist bereits erloschenen und danach erneut zum Wettbewerb eingereichten - inhaltsgleichen - Angebots ist wegen Überschreitung der Angebotsfrist (§ 18 Abs. 1 S. 1 VOL/A) grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, dass der verspätete Eingang auf nicht vom Bieter zu vertretenden Umständen beruht, § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. e VOL/A.
3.
Nicht der Bietersphäre im vorgenannten Sinne zuzurechnen ist es, wenn die Vergabestelle mit gleicher Wirkung für alle Bieter und im Einvernehmen mit diesen (vgl. § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A) eine bereits abgelaufene Angebotsfrist nachträglich "verlängert", d.h. die erneute Vorlage der bereits erloschenen Angebote mit deren ursprünglichem Inhalt gestattet.
4.
Übergeht die Vergabestelle im Rahmen der nachträglichen "Verlängerung" einer bereits abgelaufenen Angebotsfrist einen einzelnen Bieter, so ist diesem aus Gleichbehandlungsaspekten wie den übrigen Bewerbern die erneute Vorlage seines (erloschenen) ursprünglichen Angebots gestattet.
Verfahrensgang
Vergabekammer des Freistaats Thüringen (Entscheidung vom 31.08.2006; Aktenzeichen 360-4003.20/06-HBN u.a.) |
Tenor
1.
Der Beschluss der Vergabekammer des Freistaats Thüringen vom 31.08.2006 (Az. 360-4003.20/06-HBN u.a.) wird abgeändert. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens, auch soweit sie vor der Vergabekammer entstanden sind, zu tragen und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen in beiden Rechtszügen - einschließlich der für die Zuziehung von Rechtsanwälten angefallenen Kosten - sowie die der Vergabestelle vor der Vergabekammer entstandenen Kosten zu erstatten. Die Vergabestelle trägt ihre im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten selbst.
3.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird für den Zeitraum vor der Verfahrensverbindung für das Verfahren 9 Verg 4/06 (Teillos 11) auf 437.860,-- EUR, für das Verfahren 9 Verg 5/06 (Teillos 21) auf 496.700,-- EUR, für das Verfahren 9 Verg 6/06 (Teillos 31) auf 201.331,-- EUR und für das Verfahren 9 Verg 7/06 (Teillos 41) auf 432.878,-- EUR sowie für den Zeitraum ab Verfahrensverbindung auf 1.568.770,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin bewirbt sich im Offenen Verfahren nach VOL/A neben drei weiteren Bietern um das vorliegende Ausschreibungsvorhaben, das die Durchführung des Winter- und Störungsbeseitigungsdienstes auf den Bundes- und Landstraßen in vier Thüringer Landkreisen für die Jahre 2006 bis 2010 zum Gegenstand hat.
Die Ausschreibung erfolgte formal getrennt nach den "Losen" 1 (Winterdienst) und 2 (Störungsbeseitigungsdienst), wobei beide Leistungen laut Vergabebekanntmachung nur gemeinsam zu vergeben waren. Weiterhin unterschieden die Verdingungsunterlagen zwischen den "Teillosen" 11, 21, 31 und 41, die selbstständig zuschlagsfähige Leistungen, nämlich die jeweilige Erbringung der vorgenannten Dienste in den betroffenen vier Landkreisen, beinhalten.
Schon in der europaweit veröffentlichten Vergabebekanntmachung war unter Punkt IV.3.4 als Schlusstermin für den Eingang der Angebote der 12.04.2006 und unter Punkt IV.3.7 eine Bindefrist der Angebote bis 14.07.2006 festgelegt. Diese Anforderung wurde im Angebotsformular, das die Vergabestelle den teilnehmenden Bietern zusandte, erneut aufgegriffen. Darin war in einem umrandeten Kästchen auf den Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist am 14.07.2006 hingewiesen. Zudem hatten die Bieter in Ziff. 1 S. 2 ausdrücklich zu erklären, dass sie sich bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist an ihr Angebot gebunden hielten.
Im Submissionstermin am 12.04.2006 lagen vier Angebote vor, von denen eines schon unmittelbar nach Öffnung wegen formeller Mängel nicht zur ersten Phase der Angebotswertung zugelassen wurde.
Aufgrund der Verzögerung durch das streitgegenständliche Nachprüfungsverfahren forderte die Vergabestelle die verbliebenen drei Bieter am 06.07.2006 - also vor Ablauf der ursprünglich bestimmten Bindefrist am 14.07.2006 - schriftlich zu einer Bindefristverlängerung auf, worin es hieß:
"Die für das Vergabeverfahren ... festgelegte Zuschlags- und Bindefrist 14.07.2006 muss ... bis zum 'Ende des Verfahrens' verlängert werden."
Gleichzeitig übersandte sie den Bietern ein vorgefertigtes Formular, worin diese durch Ankreuzen anzugeben hatten, ob sie der Verlängerung zustimmten.
Während die Beigeladene und die Drittbieterin unter Verwendung des vorbezeichneten Formulars einer Bindefristverlängerung bis zum Ende des Nachprüfungsverfahrens zustimmten, gab die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.07.2006 folgende Erklärung ab:
"... möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir einer Verlängerung der Zuschlags- und Bindefrist für die o.g. Maßnahme zustimmen.
Aufgrund der auszuführ...