Leitsatz (amtlich)

Zur Indizwirkung der Geltendmachung überhöhter Streitwerte bei der Beurteilung des missbräuchlichen Vorgehens i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG.

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 15.10.2007; Aktenzeichen 2 HKO 201/07)

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des LG Erfurt vom 15.10.2007 - 2 HKO 201/07, wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Verfügungsverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I. Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Handels mit Motorradzubehör. Die Verfügungsklägerin macht einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen der ihrer Auffassung nach unrichtigen Widerrufsbelehrung bei Verkaufsangeboten über den eBay-Onlineshop der Verfügungsbeklagten geltend. Das LG hat die einstweilige Verfügung nach mündlicher Verhandlung durch Urteil vom 15.10.2007 erlassen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Verfügungsbeklagten. Sie vertritt die Auffassung, die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen durch die Verfügungsklägerin sei rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Rechtsmittel wendet sich allein gegen die Feststellung des LG, dass die Klage zulässig und nicht rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG sei. Angriffe gegen die materiell-rechtliche Beurteilung könnten auch keinen Erfolg haben, da die Brandmarkung der Widerrufsbelehrung der Verfügungsbeklagten als wettbewerbswidrig i.S.v. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG der Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. OLG Jena WRP 2007, 1008). Die Geltendmachung des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs durch die Verfügungsklägerin ist aber nach dem bisherigen Parteivortrag auch nicht rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG, der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung daher zulässig.

§ 8 Abs. 4 UWG stellt eine dem Systemschutz des deutschen Wettbewerbsrechts dienende Begrenzung der Befugnisse der Gläubiger wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche dar (BGH GRUR 2002, 357 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung). Von einem Missbrauch ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs die Verfolgung sachfremder Ziele ist. Dies muss nicht das alleinige Ziel sein, ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (BGH GRUR 2006, 243 - MEGA SALE). Das Vorliegen eines Missbrauchs ist jeweils im Einzelfall unter Abwägung der gesamten Umstände des Falles von Amts wegen zu beurteilen. Maßgeblich in die Beurteilung einfließen kann das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung des konkreten, aber auch anderer Wettbewerbsverstöße (GRUR 2000, 1089 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung).

Die Rechtsprechung hat, abgesehen von hier nicht einschlägigen Fällen abgestimmten Vorgehens konzernmäßig verbundener Unternehmen (GRUR 2000, 1089 - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH GRUR 2002, 357 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung), zahlreiche Indizien entwickelt, bei deren Vorliegen Rechtsmissbräuchlichkeit angenommen werden kann. Zu nennen sind ein systematisches, massenhaftes Vorgehen oder eine enge personelle Verflechtung zwischen dem Abmahnenden und dem beauftragten Rechtsanwalt (vgl. OLG Naumburg WM 2008, 326). In Betracht kommen auch Fallgestaltungen, bei denen die Schädigungsabsicht des Gläubigers deshalb überwiegt, weil er die Prozessführung durch willkürliche Ausnutzung des fliegenden Gerichtsstandes nach §§ 14 Abs. 2 UWG, 35 ZPO in besonders kostenverursachender Weise gestaltet (KG WRP 2008, 511) oder bei denen der Wettbewerber die Wettbewerbsverstöße durch den Prozessbevollmächtigten recherchieren lässt (OLG Hamburg Urt. v. 30.5.2007 - 5 U 184/06, zit. bei juris). Rechtsmissbrauch kann auch vorliegen, wenn die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen mangels eigenem wirtschaftlichem Interesse allein im Gebühreninteresse erfolgt (vgl. BGH GRUR 2001, 260 - Vielfachabmahner; OLG Stuttgart OLGReport Stuttgart 2003, 77; OLG Köln GRUR 1993, 571). Hierbei kann auch das systematische Einfordern überhöhter Abmahnpauschalen bei geringem Prozessrisiko ein bedeutsames Indiz sein (Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 8 UWG Rz. 4.12 m.w.N.; Harte/Henning/Bergmann § 8 UWG Rz. 315; Piper/Ohly § 8 UWG Rz. 185).

Die vorliegende Unterlassungsklage ist nicht rechtsmissbräuchlich erhoben worden, jedenfalls hat die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Verfügungsbeklagte die grundsätzlich für die Klagebefugnis der Verfügungsbeklagten und gegen die Missbräuchlichkeit des klageweisen Vorgehens bestehende Vermutung (vgl. Teplitzky Kap. 13, Rz. 54; OLG Köln GRUR 1993, 571) nicht durch ausreichenden Tatsachenvortrag erschüttern können.

a) Die Auswahl des Gerichtsstandes Erfurt durch die Verfügungsklägerin ist kein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches vorgehen. Zwar hat die Verfügungsbeklagte auch schon am Gerichtsort Mühlhausen geklagt. Jedoch ist es nicht sachwidrig, wenn es möglich ist, am Gerichtsort des eigenen Geschäftssitzes (bei der Verfügungsklägerin ist dies das im Landgerich...

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