Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung bei Insolvenzverschleppung und Vermögensvermischung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung, die auch den faktischen GmbH-Geschäftsführer trifft, sind so genannte Altgläubiger dabei auf den Betrag der Verschlechterung ihrer Insolvenzquote infolge der Verzögerung beschränkt; so genannte Neugläubigern ist dagegen das volle negative Interesse zu ersetzen.
2. Ist in Ermangelung von Geschäftsbüchern nicht klar erkennbar, welches Vermögen der GmbH und welches der Alleingesellschafterin zuzuordnen ist, so kommt ihr wegen Vermögensvermischung die Haftungsbeschränkung des § 13 GmbHG nicht zugute.
3. Von einem Direktanspruch der Gläubiger gegen den Allein-Gesellschafter als herrschendes Unternehmen im Rahmen eines qualifizierten faktischen Konzerns ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird, weil in diesem Fall eingriffsbedingte Verluste der abhängigen Gesellschaft nicht im Interesse der Gläubiger in einem geordneten Verfahren durch den Insolvenzverwalter gegenüber dem herrschenden Unternehmen geltend gemacht werden können (Anschluss an BGH v. 17.9.2001 – II ZR 189/99 – Bremer Vulkan, GmbHR 2001, 1036).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; GmbHG § 64 Abs. 1; StGB § 263 Abs. 1; HGB §§ 128-129
Verfahrensgang
LG Erfurt (Aktenzeichen 9 O 1828/00) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Erfurt v. 30.1.2001 – 9 O 1828/00 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haften für die Kosten des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Beschwer der Beklagten beträgt 52.961,80 DM.
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das LG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Denn der Klägerin steht ein Anspruch gegen beide Beklagte sowohl aus dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG, als auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB und aus § 826 BGB zu. Daneben bestehen Ansprüche gegen die Beklagte zu 2) analog §§ 128, 129 HGB wegen Vermögensvermischung sowie wegen Nichtbeachtung der Eigenbelange einer abhängigen GmbH.
I. Beide Beklagte haften zunächst unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzverschleppung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG.
1. Die Insolvenzantragspflicht gem. § 64 Abs. 1 GmbHG wird nach ständiger Rechtsprechung als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten aller Gläubiger mit Ausnahme der GmbH selbst angesehen (BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = MDR 1994, 781; v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211; WM 1997, 1679; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 36). Daraus folgt ein entsprechender Schadensersatzanspruch. Sog. Altgläubiger sind dabei auf den Betrag der Verschlechterung ihrer Insolvenzquote infolge der Verzögerung beschränkt. Nach richtiger Auffassung des BGH sind dagegen sog. Neugläubiger, welche erst nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenz insbesondere vertragliche Forderungen gegen die insolvente GmbH erwerben, so zu stellen, wie sie ohne den Vertragsschluss stehen würden; das volle negative Interesse ist zu ersetzen (BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = MDR 1994, 781; krit. dazu Ulmer, ZIP 1993, 771; Canaris, JZ 1993, 650; zustimmend die ganz h.M.: Lutter, DB 1994, 135; Wiedemann, EWiR 1993, 584; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 40 m.w.N.). Jedoch müssen die entsprechenden Forderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein (Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 40 m.w.N.). Die Haftung trifft den pflichtwidrig handelnden Geschäftsführer der jeweiligen Gesellschaft, der gem. § 64 Abs. 1 GmbHG zur Antragstellung verpflichtet ist. Dieser handelt pflichtwidrig und verletzt damit das Schutzgesetz, wenn er objektiv die Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG überschreitet (BGH BGHZ 75, 111). Verschulden ist erforderlich; allerdings genügt Fahrlässigkeit (BGH BGHZ 75, 111; a.A. Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 17. Aufl. 2000, § 64 Rz. 27: Vorsatz). Das Verschulden wird widerleglich vermutet (BGH BGHZ 75, 111; OLG Düsseldorf GmbHR 1999, 479; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2001, § 64 Rz. 38). Dagegen ist die objektive Insolvenzverschleppung und der darauf beruhende Schadenseintritt vom jeweiligen Gläubiger zu beweisen (BGH, BGHZ 75, 111). Der einmal entstandenen Haftung kann sich der Geschäftsführer nicht dadurch entziehen, dass er sein Amt niederlegt; Gleiches gilt auch für die Abberufung des Geschäftsführers in der Krise (BGH NJW 1952, 554; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2001, § 64 Rz. 23; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. 2000, § 64 Rz. 42, 48).
2. Die p+b Gesellschaft mbH war bereits Anfang 1996 objektiv insolvent, d.h. sowohl zahlungsunfähig als auch überschuldet. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Gutachten des RA R. vom 23.2.1999 (Bl. 17 ff. d.A.), das nach Beantragung der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens angefertigt wurde und das die Klägerin beigebracht hat....