Alexander C. Blankenstein
Die winterliche Räum- und Streupflicht setzt zunächst eine konkrete Gefahrenlage durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung ist das Vorliegen allgemeiner Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen. Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls.
Keine Beschlusskompetenz für Turnusregelungen
Den Wohnungseigentümern kann nicht durch Mehrheitsbeschluss aufgegeben werden, den Winterdienst im Turnus erbringen zu müssen. Entsprechende Beschlüsse sind nichtig, da den Wohnungseigentümern außerhalb Gesetz und Vereinbarung keine Leistungspflichten auferlegt werden können.
Angrenzende öffentliche Bürgersteige
Der Außenbereich des gemeinschaftlichen Grundstücks, nämlich der öffentliche Bürgersteig im Bereich der Grenzen des Gemeinschaftseigentums, hat hinsichtlich der Räum- und Streupflichten, die in den Orts- und Gemeindesatzungen geregelt sind, eine erhebliche Bedeutung. Grundsätzlich ist nämlich zu beachten, dass es sich bei diesen Satzungen um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelt. Insoweit wird in der Rechtsprechung angenommen, dass der Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht spreche, wenn eine Person im Zeitraum der jeweils geltenden Räum- und Streupflicht zu Schaden kommt.
Abendlicher Sturz
Aufgrund von Schnee- und Eisglätte kommt ein Passant um 20.40 Uhr auf dem Bürgersteig vor der Wohnanlage zu Fall und zieht sich Verletzungen zu. Die Gemeindesatzung verpflichtet die Anlieger zum Räumen und Streuen der an ihre Grundstücke angrenzenden Bürgersteige im Zeitraum zwischen 7 und 21 Uhr.
Grundsätzlich trägt im Schadensfall der Verletzte die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden durch die Pflichtverletzung eines Dritten eingetreten ist. Sind Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, spricht der erste Anschein bzw. eine Vermutung für die Pflichtverletzung. Wird also innerhalb der Streuzeiten nicht geräumt bzw. gestreut, spricht der erste Anschein bzw. eine Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre. Im Fall eines Unfalls hat sich dann gerade diejenige Gefahr verwirklicht, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten. Anders aber, wenn der Passant um 21.40 Uhr zu Fall gekommen wäre. Dann können die Regeln über den Anscheinsbeweis keine Anwendung finden, weil der Sturz erst nach Ende der Streupflicht eingetreten ist. Der Verletzte muss dann den "vollen" Beweis dafür führen, dass er aufgrund Schnee- bzw. Eisglätte zu Fall gekommen ist, dass dies im Bereich des an die Wohnanlage angrenzenden Bürgersteigs der Fall war und dass zum Zeitpunkt des Unfalls eine allgemeine Straßenglätte geherrscht hat. Hinsichtlich der Räum- und Streupflichten sind stets die Maßgaben der jeweiligen Satzungen maßgeblich. Delegieren diese zwar die Räum- und Streupflichten des Bürgersteigs auf die Anlieger, regeln im Übrigen aber keine Details, gilt Folgendes:
- Es ist nicht erforderlich, dass Gehwege in ihrer ganzen Breite geräumt oder bestreut werden müssen. Es genügt, wenn ein Streifen geräumt oder bestreut wird, der es 2 Fußgängern gestattet, vorsichtig aneinander vorbeizugehen. Dabei ist grundsätzlich eine Breite von 1 bis 1,20 m erforderlich und ausreichend.
- Die Erwartung, bei winterlichen Witterungsverhältnissen ordnungsgemäß geräumte oder bestreute Wege vorzufinden, enthebt auch den Fußgänger nicht der Verpflichtung, sorgfältiger als sonst seines Weges zu gehen.
- Ein Fußgänger kann nicht damit rechnen, dass der Gehwegrand gestreut ist.
- Der Gehwegrand an der Fahrbahn ist, soweit er sich nicht im Bereich von Fernsprechzellen, Notrufsäulen, Aufzügen, Briefkästen und Parkautomaten befindet, grundsätzlich nicht von Schnee und Eis zu befreien, vielmehr sollten gerade hier Schnee- und Eismengen aufgehäuft werden.
Bereiche des Gemeinschaftseigentums
So keine Orts- oder Gemeindesatzung eine Streupflicht auferlegt, gelten für den Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums vergleichbare Grundsätze. Räum- und Streupflichten bestehen auch hinsichtlich der Zuwege auf dem gemeinschaftlichen Grundstück regelmäßig für die Zeit des normalen Tagesverkehrs. An Werktagen regelmäßig im Zeitraum zwischen 7 und 20 Uhr, an Sonn- und Feiertagen ab 9 Uhr.
Die Streupflicht bedeutet zwar nicht, dass die Wege bei eintretender Winterglätte so zu bestreuen sind, dass ein Verkehrsteilnehmer überhaupt nicht ausrutschen kann; vielmehr müssen die Wege nur derart bestreut werden, dass sie von den Verkehrsteilnehmern ohne Gefahr benutzt werden können, wenn auch diese die erforderliche Sorgfalt anwenden.
Warnschilder schützen nicht vor Haftung
Ein Warnschild mit dem Hinweis "Privatgrundstück, Parken verboten, Betreten und Befahren auf eigene Gefahr" schützt nicht vor einer Haftung. Rutscht ein Besucher auf schnee- und eisglattem Untergrund aus, weil nicht geräumt wurde, liegt eine haftungsbegründende Verletzung de...