1 Leitsatz
Die Anwesenheit Dritter ist im Individualinteresse zulässig, wenn ein Wohnungseigentümer im Einzelfall ein berechtigtes Interesse an der Hinzuziehung eines Beraters oder eines Beistands hat, das gewichtiger ist als das Interesse der anderen Wohnungseigentümer, die Versammlung auf den Kreis der Wohnungseigentümer zu beschränken.
2 Normenkette
§§ 23, 24, 25 WEG
3 Das Problem
In der Einladung zur Versammlung heißt es: "Nur der im Grundbuch eingetragene Eigentümer oder sein Vollmachtnehmer haben das Recht zur Teilnahme und Abstimmung. Ehepartner, Verwandte, Berater usw. sind zur Versammlung nur dann zugelassen, wenn der Eigentümer aufgrund körperlicher Gebrechen ohne Hilfsperson selbst an der Versammlung nicht teilnehmen könnte. Es wird noch einmal darauf hingewiesen, dass die Entscheidung der Eigentümer aus TOP 14 der Versammlung vom 15.07.2021 verbindlich ist und vor allem von Wohnungseigentümer K respektiert werden muss. Es wird von Eigentümern und Verwalter nicht geduldet, dass N als Bevollmächtigte von K der Versammlung beiwohnt. Falls sie trotzdem erscheint und auf Bleiberecht besteht, wird der Verwalter die Versammlung nicht eröffnen. Es kommt dann zu einer für K kostenpflichtigen außerordentlichen Versammlung zu einem späteren Zeitpunkt." An der Versammlung nimmt die Ehefrau des K für diesen teil. K geht gegen die auf dieser Versammlung gefassten Beschlüsse vor. Er ist der Ansicht, der Verwalter habe ihn durch die Ladung in rechtswidriger Art und Weise davon abgehalten, seine Stieftochter bzw. seinen Rechtsanwalt an der Versammlung teilnehmen zu lassen. Zudem seien die Beschlüsse unter Missachtung des Gebots der Nichtöffentlichkeit getroffen worden, da die Ehefrau des Wohnungseigentümers G an der Versammlung teilgenommen habe. G sei aber gesundheitlich in der Lage gewesen, allein an der Versammlung teilzunehmen.
4 Die Entscheidung
Das AG meint, die Beschlüsse seien nicht deshalb für ungültig zu erklären, weil sie unter Verletzung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit gefasst worden seien. Denn die Anwesenheit Dritter sei im Individualinteresse zulässig, wenn der einzelne Wohnungseigentümer ein berechtigtes Interesse an der Hinzuziehung eines Beraters oder eines Beistands habe, das gewichtiger sei als das Interesse der anderen Wohnungseigentümer, die Versammlung auf den Kreis der Wohnungseigentümer zu beschränken. G habe im Fall ein solches Interesse gehabt. Er brauche Hilfe beim Trinken, Essen, Schreiben und beim Toilettengang, die es erforderten, dass während der Versammlung eine Begleitperson anwesend sei. G habe mehrere Schlaganfälle erlitten und sei deshalb in seiner Mobilität eingeschränkt. Den (körperlichen) Einschränkungen könne nicht dadurch begegnet werden, dass dieser lediglich zur Versammlung begleitet werde. Es gebe auch keinen Ladungsmangel. Zwar dürfte in der Ladung nicht korrekt auf die Vertretungsmöglichkeiten hingewiesen worden sein. Das Gericht gehe aber davon aus, dass ein etwaiger Ladungsmangel nicht beachtlich sei. Denn K sei durch seine Ehefrau vertreten worden. Soweit er behaupte, seine Tochter hätte die anderen Wohnungseigentümer gegebenenfalls eher überzeugt, sei der Einwand unbeachtlich.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es neben der Frage, durch wen sich Wohnungseigentümer K vertreten lassen konnte, um die Frage, wann sich ein Wohnungseigentümer zur Versammlung durch einen Dritten begleiten lassen darf.
Begleitung eines Wohnungseigentümers in der Versammlung
Der BGH hat im Jahr 1993 auf einen Vorlagebeschluss des KG Berlin entschieden, dass die Versammlungen der Wohnungseigentümer nicht öffentlich sind. Daraus hat er geschlossen, dass ein Wohnungseigentümer, wenn durch eine Vereinbarung nichts anderes bestimmt ist, auch einen ihn lediglich beratenden Beistand nicht immer, sondern nur dann hinzuziehen dürfe, wenn er daran ein berechtigtes Interesse habe. Dieses Interesse könne sich aus beachtlichen persönlichen Gründen oder aus dem Schwierigkeitsgrad der Angelegenheit ergeben, über die nach der Tagesordnung zu beschließen sei (BGH, Beschluss v. 29.11.1993, V ZB 24/92). Die Umschreibung "beachtliche persönlichen Gründe" meint unter anderem Erkrankungen. Im Fall liegen diese Gründe nach Ansicht des AG – der zu folgen ist – vor.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Die Frage, wann ein Wohnungseigentümer so hinfällig ist, dass er begleitet werden muss, kann im Einzelfall nur schwer zu beantworten sein. Wird die falsche Antwort gegeben, liegt ein formaler Beschlussmangel vor. Die Verwaltung könnte die Frage der Begleitung entscheiden, sollte es aus diesem Grunde aber nicht tun. Die Verwaltung sollte lieber die Rechtslage schildern und dann die Wohnungseigentümer durch einen Beschluss zur Geschäftsordnung entscheiden lassen, ob nach den allgemeinen Maßgaben die Begleitung eines Wohnungseigentümers gestattet wird.
6 Entscheidung
AG Bielefeld, Urteil v. 25.1.2024, 5 C 24/23