1 Leitsatz
Beschlüsse, die auf einer Versammlung gefasst werden, die nur im Wege elektronischer Kommunikation stattfindet, sind nicht nichtig.
2 Normenkette
§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 24 Abs. 1 WEG
3 Das Problem
Der Verwalter lädt die 6 Wohnungseigentümer einer Wohnungseigentumsanlage zu einer Versammlung, die im März 2021 nur im Wege der elektronischen Kommunikation stattfinden soll. Die Wohnungseigentümer erteilen dem Verwalter entweder eine Vollmacht oder nehmen selbst auf elektronischem Wege an der Versammlung teil.
Die Wohnungseigentümer fassen in der Versammlung den Negativbeschluss, Wohnungseigentümerin K Kosten in Höhe von 834,49 EUR (die Kosten für eine Erhaltungsmaßnahme am gemeinschaftlichen Eigentum) nicht zu erstatten. Ferner beschließen die Wohnungseigentümer, von K die Kosten für eine Schimmelbeseitigung zu verlangen. Wohnungseigentümerin K, die an der Versammlung teilgenommen hat, greift die in dieser Versammlung gefassten Beschlüsse im Wege der Anfechtungsklage an. Sie meint, eine Versammlung, die nur im Wege der elektronischen Kommunikation stattfinden soll, sei unzulässig. Alle Beschlüsse seien wegen dieses formalen Mangels unwirksam. Ferner beantragt sie, ihr die 834,49 EUR zu erstatten.
4 Die Entscheidung
Das AG meint, die angefochtenen Beschlüsse seien nicht nichtig. Denn die Vorschriften über die Art und Weise der Einberufung und Durchführung einer Eigentümerversammlung nach § 24 WEG seien ebenso wie über die Beschlussfassung gem. § 25 WEG abdingbar und somit keine, auf deren Einhaltung nicht verzichtet werden könne. Der Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG führe daher nicht zur Nichtigkeit gefasster Beschlüsse. Es sei auch kein Wohnungseigentümer vorsätzlich und/oder gezielt von der Mitwirkung an der Versammlung ausgeschlossen gewesen noch sei in den Kernbereich der Wohnungseigentumsrechte eingegriffen worden. Auch die Bitte der Verwaltung, ihr Vollmachten zu erteilen, sei im Fall nicht zu beanstanden (Hinweis auf Häublein, ZfIR 2020, S. 787).
Die Beschlüsse seien aber auch nicht für ungültig zu erklären. Zwar liege ein formaler Beschlussmangel vor. Der Mangel sei aber für die gefassten Beschlüsse nicht kausal gewesen. Denn K habe eine Erstattung ihrer Kosten nicht verlangen können. Daher bestehe auch kein Anspruch auf Zahlung der 834,49 EUR.
5 Hinweis
Problemüberblick
Die Wohnungseigentümer können nach § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können. Die Verwaltung kann diese Entscheidung nicht treffen. Erst recht ist es der Verwaltung nicht erlaubt, die Wohnungseigentümer nur im Wege elektronischer Kommunikation zu laden. Fraglich ist, was bei einem Verstoß gilt.
Formaler Beschlussmangel
Das AG meint, es handele sich bei der Einberufung einer nur im Wege elektronischer Kommunikation stattfindenden Versammlung um einen formalen Beschlussmangel, der nur zu einer Anfechtung der auf diese Weise gefassten Beschlüsse führe.
Ich selbst sehe das anders. Das Gesetz sieht eine Versammlung, die nur im Wege elektronischer Kommunikation stattfinden soll, nicht vor. Aus diesem Grund würde ich dort gefasste Beschlüsse grundsätzlich für ungültig halten: sie sind auf einer "Nicht-Versammlung" gefasst worden.
Universalversammlung
Kommen – wie im Fall – sämtliche Wohnungseigentümer in einer Stätte zusammen, sind sie also in Person erschienen oder wirksam vertreten, liegt eine Universalversammlung (Vollversammlung) vor. Diese heilt entsprechend § 51 Abs. 3 GmbHG sämtliche Einberufungsmängel, wenn die Wohnungseigentümer allstimmig und mit dem Wissen, dass die gesetzlichen Vorschriften etwas anderes bestimmen, auf die im Vorfeld einer Versammlung ansonsten notwendigen Schritte verzichten und festlegen, eine Versammlung abzuhalten und dort über bestimmte Angelegenheiten zu beschließen.
Diese Ausnahme könnte auch dann gelten, wenn die Verwaltung eine reine Online-Versammlung vorschlägt. Allerdings müsste die Verwaltung die Wohnungseigentümer zu Beginn darüber belehren, dass nicht nur ein Einberufungsmangel, sondern eine eigentlich nicht mögliche Versammlung vorliegt. Sind dann alle Wohnungseigentümer einverstanden, ist vorstellbar, dass Beschlüsse, die die Wohnungseigentümer fassen, doch nicht nichtig sind.
6 Entscheidung
AG Saarbrücken, Urteil v. 19.8.2021, 36 C 139/21