Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 29.04.2003; Aktenzeichen 1 BvR 436/03)

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 18.06.2002; Aktenzeichen 9 S 2441/01)

 

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Kläger, Eltern und Kinder, begehren die Befreiung der Kinder – der Kläger Ziff. 3 und 4 – von der Schulpflicht.

Die Klägerin Ziff. 3 ist seit dem Schuljahr 1999/2000, der Kläger Ziff. 4 seit dem Schuljahr 2000/2001 schulbesuchspflichtig. Beide Kläger besuchen derzeit jedoch nicht die für sie zuständige Grundschule Langenwinkel in Kippenheim, sondern werden von ihren Eltern zu Hause im familiären Umkreis unterrichtet. Der Unterricht erfolgt anhand der Materialien, Konzeption, Betreuung und Methode der Philadelphia-Schule in Siegen. Dabei handelt es sich um eine Heimschulform, die speziell auf bibelgläubige Eltern ausgerichtet ist, die ihre Kinder zu Hause unterrichten wollen. Die Kläger – Schweizer Staatsangehörige, die in Lahr wohnen – gehören einer freien Gemeinschaft bibelgläubiger Christen an.

Unter dem 3.3.2000 beantragten die Kläger Ziff. 1 und 2 beim Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg, die Kläger Ziff. 3 und 4 von der Teilnahme am öffentlichen Schulunterricht zu befreien. Zur Begründung führten sie aus, dass ihre Tochter, die vergangenes Jahr schulpflichtig geworden sei, zu Hause nach dem deutschen Fernschulprogramm der Philadelphia-Schule und dem Schulprogramm des Kantons Bern unterrichtet werde, damit sie sowohl einen deutschen als auch einen Schweizer Schulabschluss erreichen könne. Ihre Lernerfolge seien sehr gut. Eine Einschulung in der öffentlichen Grundschule komme nicht in Betracht, weil der öffentliche Schulunterricht weit von einem christlich geprägten Schulunterricht entfernt sei.

Mit Bescheid vom 28.8.2000 wies das Staatliche Schulamt Offenburg, an das das Ministerium den Antrag zuständigkeitshalber weitergeleitet hatte, zurück. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf die Entscheidung des Petitionsausschusses des Landtages, der einer Petition verschiedener Familien, u.a. der Kläger, nicht abgeholfen hatte. Der Petitionsausschuss hatte ausgeführt, die Kinder seien entgegen der Auffassung der Petenten gem. § 72 Abs. 1 Satz 1 SchG schulpflichtig. Sie seien weder aus psychischen noch aus physischen Gründen daran gehindert, der Schulpflicht nachzukommen. Ein irgendwie gearteter Befreiungstatbestand sei nicht ersichtlich. Die Schulpflicht verstoße nicht gegen die Glaubensfreiheit gem. Art. 4 GG. Das gesamte System staatlicher Beschulung sei so ausgerichtet, dass kein Schüler aufgrund seines Glaubens benachteiligt werde oder im Wege einer Missionierung oder Indoktrinierung durch die Schule in seiner Glaubensfreiheit verletzt werden könne. Die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule, wie er sich aus der Landesverfassung und dem Schulgesetz ergebe, lasse den Eltern einen erheblichen zeitlichen Rahmen innerhalb der unterrichtsfreien Zeit, mit ihren eigenen Vorstellungen zusätzlich besondere Akzente in der Erziehung ihrer Kinder zu setzen. Auch das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG werde durch die Schulpflicht nicht verletzt. Die schulische Erziehung bedeute keinen Ausschluss der elterlichen Grundvorstellung von Moralerziehung, sondern eine Ergänzung. Der Kanon der schulischen Fächer und ihre Inhalte dienten der Aufgabe, den jungen Menschen so zu formen, dass er seine Aufgabe als mündiger Bürger in einem demokratischen Staatswesen wahrnehmen könne. Hierzu reiche die Vermittlung von Grundkenntnissen und Grundfertigkeiten, wie sie etwa durch Lehrbriefe und Unterricht durch die Eltern erreicht werden könnten, nicht aus. Die Schule müsse gesellschaftliche und historische Fragestellungen sachkundiger, wissenschaftlich fundierter und pädagogisch zielgerichteter vermitteln, als dies durch Unterrichtsurrogate erreicht werden könnte. Durch die schulrechtlich garantierten Mitwirkungsrechte hätten die Eltern zudem konkrete Gestaltungsmöglichkeiten, zur Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags beizutragen. Die Schulpflicht verstoße auch nicht gegen höherrangiges internationales Recht. Weder aus den Vertragstexten von Maastricht noch aus anderen Regelungen des Europarechts lasse sich ein Verbot für einzelne Länder herleiten, einen eigenen schulischen Erziehungsauftrag festzulegen. Im Übrigen hätten die Eltern die Wahl unter einer Fülle von Varianten bei öffentlichen wie auch bei Privatschulen.

Gegen den Bescheid des Staatlichen Schulamts legten die Kläger am 18.9.2000 Widerspruch ein, den sie unter dem 4.10.2000 näher begründeten. Sie beriefen sich auf § 76 Abs. 1 SchG und machten geltend, dass danach die Befreiungsvoraussetzungen vorlägen, weil in anderer Weise für die Erziehung und Unterrichtung der Kläger Ziff. 3 und 4 gesorgt und die erforderliche Ausnahmesituation im Hinblick auf die Kindeswohlverletzung durch die öffentlichen Schulen als auch auf den Gewissenskonflikt der Eltern zu bejahen sei...

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