§§ 1 Abs. 2, 10 Abs. 1 Satz 2 WEG
Sachverhalt
Die Wohnungseigentumsanlage besteht aus 10 aneinandergebauten Einzelhäusern mit einem "Reihenhauscharakter". Wohnungseigentümer K vermietet sein Sondereigentum – Wohn- und Nutzfläche von ca. 160 m2 – an eine M. M hat eine Ausbildung zur Kindertagespflegerin abgeschlossen und betreibt im Sondereigentum von Montag bis Freitag von ca. 8.00 Uhr bis 16.30 Uhr eine Kindertagesstätte mit einer maximalen Anzahl von 5 Kleinkindern. Im Bereich der Wohnung ist ein Parken von Pkw nicht möglich. Nach der Gemeinschaftsordnung ist die Ausübung eines Gewerbes oder Berufes nur ausnahmsweise und mit schriftlicher Zustimmung des Verwalters erlaubt. Der Verwalter kann nur aus wichtigem Grund die Einwilligung verweigern oder von der Erfüllung von Auflagen abhängig machen. Als wichtiger Grund gilt, wenn die Ausübung eines Gewerbes oder Berufes eine unzumutbare Beeinträchtigung der anderen Wohnungseigentümer oder Hausbewohner mit sich bringt oder befürchten lässt. Nachdem Wohnungseigentümer B sich beschwert, bittet Wohnungseigentümer K den Verwalter erfolglos um eine Zustimmung. Vor diesem Hintergrund bittet K die anderen Wohnungseigentümer um einen zustimmenden Beschluss. Dieser wird nicht gefasst. Dagegen wendet sich K im Wege der Anfechtungsklage. Ferner erhebt K eine Beschlussersetzungsklage.
2.1 Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat keinen Erfolg. Die Anfechtung eines Negativbeschlusses sei nur dann begründet, wenn im Zeitpunkt der Beschlussfassung allein die freiwillige Erfüllung des Anspruchs ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte. Dies sei nicht der Fall, da die Beklagten dem auf die einschränkungslose "nachträgliche Betriebsgenehmigung der Kindertagespflegeeinrichtung" gerichteten Beschlussantrag nicht hätten zustimmen müssen. Die Beschlussersetzungsklage hat hingegen Erfolg. Zwar handele es sich bei der Erbringung von entgeltlichen Betreuungsdienstleistungen gegenüber Dritten in Form einer Pflegestelle für bis zu 5 Kleinkindern in einer Wohnung um eine gewerbliche Nutzung. Diese sei aber zulässig und die Wohnungseigentümer hätten die entsprechende Zustimmung zu erteilen. Die Betreuung von bis zu 5 Kleinkindern gehe bei der gebotenen typisierenden Betrachtung nicht über dasjenige Maß hinaus, was im Rahmen der Wohnnutzung durch eine Familie mit mehreren Kindern in einem Reihenhaus zu erwarten wäre.
Hinweis
Ob der Betrieb einer Kindertagespflege zulässig ist, bestimmt sich danach, ob eine Wohnung zu betrachten ist oder Räume, die nicht bewohnt werden sollen.
- Der Betrieb einer Kindertagespflege ist kein Wohnen. Er ist aber zulässig, wenn er nach einer typisierenden Betrachtungsweise nicht mehr stört als ein Wohnen. So liegt es, wenn die Störungen und Gebrauchsbeeinträchtigungen nicht über die einer zulässigen Wohnungsnutzung hinausgehen. Der Maßstab ist der Vergleich mit den Wohnverhältnissen einer Familie mit mehreren Kindern (AG Bonn, Urteil v. 25.1.2018, 27 C 111/17, ZWE 2018 S. 212). Neben dem Lärm spielen weitere Aspekte, wie das Müllaufkommen oder der Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums, z. B. des Treppenhauses, eine Rolle. Die Grenze des zulässigen Gebrauchs ist im Allgemeinen erreicht, wenn eine entgeltliche Betreuung von 5 Kleinkindern von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr durch eine Tagesmutter erfolgt. Von mehreren Kleinkindern geht zum einen ein erhöhter Lärmpegel aus. Zum anderen stört die gesteigerte Besucherfrequenz der bringenden und abholenden Eltern, die damit einhergehende vermehrte Verschmutzung des Treppenhauses und die größere Unruhe im Haus, deutlich mehr, als im Vergleich zu einer kinderreichen Familie (OLG Köln, Beschluss v. 23.7.2007, 16 Wx 25/07, ZWE 2008 S. 201)
- Kindertagespflege in Räumen eines Teileigentums ist hingegen grundsätzlich erlaubt. Denn dort ist im Allgemeinen jede gewerbliche Tätigkeit zulässig, wenn diese nicht gegen gesetzliche Verbote oder andere zur Nichtigkeit führenden Normen verstößt. Nutzungsbeschränkungen in der Gemeinschaftsordnung sind aber möglich. Der BGH hat insoweit entschieden, dass der Betrieb eines Eltern-Kind-Zentrums selbst dann zulässig ist, wenn die Räume als "Laden mit Lager" bezeichnet wurden (BGH, Urteil v. 13.12.2019, V ZR 203/18). Durch die Ausstrahlungswirkung des § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG fließe in die Bewertung der typisierenden Betrachtungsweise der Kinderlärm grundsätzlich nicht ein. Im Rahmen der typisierenden Betrachtungsweise könne die anderweitige Nutzung des Teileigentums dann unzulässig sein, wenn aus anderen Gründen eine weitergehende Störung oder Gebrauchsbeeinträchtigung vorliege, z. B. bei einem verstärkten Publikumsverkehr. Auch sei es möglich, dass eine Nutzung in der privilegierten Form des § 22 Abs. 1a BImSchG in der Wohnungseigentumsanlage ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluss sei auch konkludent möglich, wenn z. B. die Wohnungseigentumsanlage als ein sogenanntes Ärztehaus konzipiert sei (BGH, Urteil v. 13.12.2019, V ZR 203/18).