Haben Sie dem Grenzüberbau vorher zugestimmt, spricht man nicht mehr von einem Überbau. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte die Zustimmung in einem notariellen Vertrag mit dem Nachbarn regeln. Stimmen Sie dem Überbau zu, wird der überbauende Nachbar Eigentümer des gesamten Bauwerks. Haben Sie dem Überbau nicht zugestimmt und hat der Bauherr ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit gehandelt, spricht man von einem sog. entschuldigten Überbau. Auch in diesem Fall müssen Sie den Überbau dulden.

Wird ein Gebäude auf dem Stammgrundstück, das heißt dem Grundstück des überbauenden Eigentümers, vollständig abgebrochen, muss der Nachbar den Überbau auf seinem Grundstück nicht mehr dulden. Er erwirbt aber auch kein Eigentum am überbauten Gebäudeteil und kann nicht dessen Erhalt beanspruchen. Die eigentumsrechtliche Zuordnung des auf dem Nachbargrundstück befindlichen Gebäudeteils zum Stammgrundstück bleibt vielmehr unverändert, sodass der überbauende Nachbar den Abriss des Überbaus durchsetzen kann. Er bleibt nach Durchführung der Abbrucharbeiten auf dem eigenen Grundstück auch für den Abbruch des Überbaus verantwortlich.[1]

 
Hinweis

Baugenehmigung wird ohne Prüfung von Abstandsflächen erteilt

In vielen Landesbauordnungen sind die Gemeinden im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens nicht verpflichtet, die Eigentums- und Grenzverhältnisse zu prüfen, wenn ein Antrag auf Baugenehmigung vorliegt. Die Baugenehmigung kann also unabhängig davon erteilt werden, ob die Abstandsflächen eingehalten werden oder nicht. Es ist daher Sache des Bauherrn, vor der Baumaßnahme festzustellen, wie die Grenze zwischen den Grundstücken verläuft.

Zusammengefasst kann man sagen: Der Überbau gilt als entschuldigt und ist von Ihnen zu dulden, wenn der bauende Nachbar nicht vorsätzlich gehandelt hat. Eine Duldungspflicht besteht auch dann, wenn Sie nach der Grenzüberschreitung keinen sofortigen Widerspruch einlegen (§ 912 Abs. 1 BGB). Dieser kann auch formlos erklärt und muss nicht begründet werden. Versäumen Sie es, dem Überbau sofort zu widersprechen, müssen Sie ihn dulden. Und: Der Überbauende wird Eigentümer des gesamten Gebäudes einschließlich des Überbaus.

Hat der Nachbar nicht über die Grenze gebaut, sondern nur in den Bauwich auf dem eigenen Grundstück, kommt es nicht auf den Verkehrswert des überbauten Grundstücks an, sondern darauf, wie groß die Beeinträchtigung des Substanz- oder Ertragswerts des Nachbargrundstücks ausfällt. Unter dem Bauwich versteht man die in den Landesbauordnungen der Bundesländer geregelten Abstandsflächen von Gebäuden zum Nachbargrundstück. Die Abstandsflächen sollen zum einen für ausreichende Belichtung, Besonnung und Entlüftung sorgen, zum anderen dienen sie dem Brandschutz und sollen so das "Einmauern" von Nachbargrundstücken verhindern. Als Grundregel lässt sich festhalten: Vor jeder Außenwand eines Gebäudes sollen im Allgemeinen mindestens 3 m Tiefe zur Grenze eingehalten werden, Abstandsflächen müssen grundsätzlich auf dem Baugrundstück selbst liegen.

[1] BGH, Urteil v. 10.7.2020, V ZR 156/19, NZM 2021, 514.

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