Leitsatz (amtlich)

Die Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme setzt gem. § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB voraus, dass zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (im Anschluss an BGH v. 2.9.2015 - XII ZB 226/15, FamRZ 2015, 2050 m.w.N.).

 

Normenkette

BGB § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Beschluss vom 15.03.2017; Aktenzeichen 2 T 227/17)

AG Dresden (Beschluss vom 17.02.2017; Aktenzeichen 404 XVII 2125/16)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Dresden vom 17.2.2017 und der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Dresden vom 15.3.2017, soweit es jeweils die Genehmigung der Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmaßnahme betrifft, ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Zeitablauf erledigten Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.

Rz. 2

Er war seit dem 3.12.2016 öffentlich-rechtlich untergebracht, nachdem er sich der Räumung seines in einer Gartenlaube befindlichen Behelfs-Domizils widersetzt hatte, indem er mit Fäkalien um sich warf. Nach fachpsychiatrischem Gutachten leidet er unter einer paranoid wahnhaften Störung mit florider psychotischer Symptomatik und Handlungsrelevanz.

Rz. 3

Am 17.2.2017 hat das AG auf Antrag der zwischenzeitlich bestellten Betreuerin ihre Einwilligung in die weitere zivilrechtliche Unterbringung für zwölf Wochen sowie die Zwangsbehandlung unter Verantwortung und Dokumentation eines Arztes mit einem näher bezeichneten Medikament für annähernd sechs Wochen genehmigt. Das LG hat den Betroffenen im Beisein der Verfahrenspflegerin erneut angehört und seine Beschwerde gegen die Genehmigungen der Unterbringung und Zwangsbehandlung zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG statthaft und auch ansonsten zulässig. Sie ist auch begründet, weil die Entscheidungen von AG und LG den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Dies ist nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (BGH, Beschl. v. 29.1.2014 - XII ZB 330/13, FamRZ 2014, 649 Rz. 8 m.w.N.) festzustellen.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte die Genehmigung zur Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ausgesprochen haben, ohne einen vorherigen Überzeugungsversuch ausreichend darzulegen.

Rz. 6

Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gem. § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (vgl. BGH v. 2.9.2015 - XII ZB 226/15, FamRZ 2015, 2050 Rz. 26 m.w.N.).

Rz. 7

Dieser Anforderung werden die angefochtenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Beschwerdeentscheidung des LG verhält sich überhaupt nicht zur Frage eines Überzeugungsversuchs, während der erstinstanzliche Beschluss lediglich den nicht näher konkretisierten Hinweis enthält, dass versucht worden sei, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Diese pauschale Angabe genügt als nachvollziehbare Darlegung nicht.

Rz. 8

2. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf - erledigten Maßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff i.S.d. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Gleiches gilt für die Genehmigung der ärztlichen Zwangsbehandlung des Betroffenen gegen seinen natürlichen Willen (st.Rspr. des Senats, vgl. BGH v. 8.7.2015 - XII ZB 600/14, FamRZ 2015, 1706 Rz. 14 f. m.w.N.).

Rz. 9

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 11343755

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge