Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn das Gericht eine dem Beteiligten selbst gesetzte Frist zur Äußerung mit seiner Entscheidung nicht abwartet (vgl. BGH, Beschl. v. 15.5.2018 - VI ZR 287/17 VersR 2018, 935 Rz. 8; BVerfGE 12, 110, 113).

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 522 Abs. 2 S. 2, § 544 Abs. 7

 

Verfahrensgang

OLG Nürnberg (Beschluss vom 06.08.2018; Aktenzeichen 9 U 1464/17)

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 30.06.2017; Aktenzeichen 19 O 7767/14)

 

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1) wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Nürnberg vom 6.8.2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf 80.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Beklagte zu 1) wird von der Klägerin auf Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung beim Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung in Anspruch genommen.

Rz. 2

Das LG hat der Klage stattgegeben. Nach Berufungseinlegung und -begründung durch den Beklagten zu 1) hat das OLG am 16.7.2018 einen Hinweis gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilt und den Parteien Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen nach Zustellung Stellung zu nehmen. Dieser Hinweis ist dem Beklagten zu 1) am 31.7.2018 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 6.8.2018 hat das OLG die Berufung des Beklagten zu 1) gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte zu 1) mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1) ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 522 Abs. 3, 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat in der Sache Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten zu 1) auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es die Berufung zurückgewiesen hat, bevor die vom Berufungsgericht gesetzte Frist zur Stellungnahme zu dem nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss abgelaufen war.

Rz. 4

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn das Gericht eine dem Beteiligten selbst gesetzte Frist zur Äußerung mit seiner Entscheidung nicht abwartet (vgl. BGH, Beschl. v. 15.5.2018 - VI ZR 287/17 VersR 2018, 935 Rz. 8; BVerfGE 12, 110, 113). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Beklagte zu 1) in seinem Schriftsatz vom 26.7.2018, auf den das Berufungsgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss Bezug nimmt, bereits in einer Weise geäußert hatte, die als abschließend verstanden werden konnte. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre - was hier schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil der Hinweisbeschluss vom 16.7.2018 dem Beklagten zu 1) am 26.7.2018 noch nicht zugestellt worden war und dieser in dem Schriftsatz vom 26.7.2018 nur zu dem Schriftsatz der Klägerin vom 20.6.2018 Stellung genommen hat - hätte das Berufungsgericht den Fristablauf am 14.8.2018 (§§ 221, 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB) nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen abwarten müssen (vgl. BVerfG MDR 2018, 614, 615 Rz. 8).

Rz. 5

2. Das Berufungsurteil beruht auf der Gehörsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Abwarten des Ablaufs der Äußerungsfrist zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.

Rz. 6

Am 13.8.2018, also innerhalb der vom Berufungsgericht gewährten Äußerungsfrist, ging ein Schriftsatz des Beklagten zu 1) beim Berufungsgericht ein, in dem zum richterlichen Hinweis vom 16.7.2018 Stellung genommen wurde. Das Berufungsgericht konnte diese Stellungnahme bei seiner Entscheidung nicht mehr berücksichtigen. Der Beklagte zu 1) hat in seinem Schriftsatz vom 13.8.2018 zwar in weiten Teilen, aber nicht ausschließlich auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen und ist - wie die Beschwerde zu Recht geltend macht - argumentativ auf den Hinweisbeschluss des OLG eingegangen. Dabei hat er versucht, das Gericht noch von seiner im Hinweisbeschluss zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung abzubringen, z.B. hinsichtlich der Fragen, ob eine Verlesung bestimmter Passagen des Strafurteils hätte erfolgen und ein weiterer Zeuge hätte geladen werden müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 19.8.2010 - VII ZB 2/09-RR 2011, 424 Rz. 17). Darüber hinaus enthielt die Stellungnahme vom 13.8.2018 noch einen Befangenheitsantrag gegen die erkennenden Richter, der wegen des bereits erfolgten Erlasses des Zurückweisungsbeschlusses ins Leere ging.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13673936

NJW 2020, 935

FamRZ 2020, 529

NJW-RR 2020, 248

FA 2020, 85

IBR 2020, 216

ZAP 2020, 243

JZ 2020, 145

MDR 2020, 304

MDR 2020, 715

VersR 2020, 1611

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