Leitsatz (amtlich)

1. Ein allgemeiner Vorrang des weniger oder überhaupt nicht berufstätigen Elternteils gegenüber dem anderen Elternteil besteht im Rahmen des Förderungsgrundsatzes nicht.

2. Einschränkungen in der Kommunikation zwischen den Eltern können nicht einseitig einem Elternteil angelastet werden, wenn der Vater zwar beklagt, von der Mutter nicht alle notwendigen Informationen zu bekommen, es aber als Mitinhaber der elterlichen Sorge auch seine Aufgabe wäre, sich eigenständig die notwendigen Informationen, etwa von den Schulen, zu beschaffen.

3. Es ist grundsätzlich die Aufgabe des umgangsberechtigten Elternteils, das Kind zu Beginn des Umgangs abzuholen und es zum Ende des Umgangs wieder zum Obhutselternteil zurückzubringen

4. Die Bindungstoleranz eines Elternteils ist erheblich eingeschränkt, wenn eine Wertschätzung gegenüber der Erziehungsleistung des anderen Elternteils überhaupt nicht vorhanden ist, er vielmehr allein die aus seiner Sicht negativen Aspekte ständig betont.

5. Selbst wenn sich hinsichtlich der Wohnverhältnisse und der Bekleidung der Kinder ein leichter Vorteil des Vaters ergibt, kann die bei ihm und seiner Ehefrau deutlich eingeschränkte Bindungstoleranz im Einzelfall dazu führen, dass im Hinblick auf den Förderungsgrundsatz ein Vorrang der Mutter besteht.

 

Normenkette

BGB § 1671

 

Verfahrensgang

AG Eisenhüttenstadt (Beschluss vom 22.07.2015; Aktenzeichen 3 F 230/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des AG Eisenhüttenstadt vom 22.7.2015 abgeändert.

Der Antrag des Vaters wird zurückgewiesen.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder L. S., geboren am... Januar 2005, und N. S., geboren am... Januar 2009, wird auf die Mutter allein übertragen.

Die Gerichtskosten erster und zweiter Instanz werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die geschiedenen Eltern streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder L. S., geboren am... 1.2005, und N. S., geboren am... 1.2009.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 22.7.2015 hat das AG das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater übertragen und es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit der Beschwerde. Sie trägt vor:

Zu Unrecht habe das AG hinsichtlich des Förderungsgrundsatzes einen Vorteil beim Vater gesehen. Dabei habe das AG verkannt, dass sie an Elternversammlungen und schulischen Veranstaltungen teilgenommen habe, während der Vater zu diesen Terminen nicht erreichbar gewesen sei. Gleiches gelte in Bezug auf Entscheidungen zur Gesundheitsfürsorge, insbesondere im Zusammenhang mit Behandlungen der Kinder im Klinikum... Auch die empfohlenen Fördermaßnahmen wie Ergotherapie, Logopädie sowie Frühförderung habe sie organisiert. Schon im Verfahren 3 F 221/11 habe das Jugendamt im Rahmen der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass ihr seit Sommer 2011 Familienhilfe gewährt werde und sie intensiv mitgearbeitet habe; beim Vater habe eine entsprechende intensive Aktivität gefehlt.

Auch zu Unrecht habe das AG ihr fehlende Bindungstoleranz vorgeworfen. Der Vater habe ihr letztlich nicht vorgeworfen, den Umgang nicht zuzulassen, sondern die Kinder nicht zu ihm nach F. zu bringen, was ihr allerdings aus finanziellen Gründen teilweise nicht möglich gewesen sei. Grundsätzlich sei sie, da der Vater über ein Auto nicht verfüge, bereit gewesen, die Kinder zu ihm zu bringen, um Kontakte zwischen Vater und Kindern zu ermöglichen. Dann sei aber ihr Fahrzeug kaputt gegangen, was sie dem Vater umgehend mitgeteilt habe.

Der Kontinuitätsgrundsatz spreche dafür, den Lebensmittelpunkt der Kinder bei ihr zu belassen. Seit ihrer Geburt lebten die Kinder bei ihr.

Sie sei im Juni 2015 Mutter von Zwillingen geworden. Die Beibehaltung der Bindung von L. und N. zu diesen Zwillingen sei für die Entwicklung förderlich.

L. werde ab dem Schuljahr 2015/2016 die Grundschule in Fr... besuchen, N. die...schule in E. Werde die Entscheidung des AG aufrechterhalten, sei ein erneuter Schulwechsel der Kinder erforderlich.

Ein autonomer Kindeswille, der zu berücksichtigen wäre, bestehe nicht. L. habe geäußert, sich zwischen beiden Elternteilen nicht entscheiden zu können, gleichwohl den Kontakt zum Vater regelmäßig haben zu wollen. N. habe zwar geäußert, lieber beim Vater sein zu wollen. Zur Begründung habe er aber lediglich ausgeführt, er finde die neue Ehefrau des Vaters schön und wolle mehr zum Spielplatz.

Die Mutter beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag des Vaters zurückzuweisen und ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder allein zu übertragen.

Der Vater beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt vor:

Das Wohl von L. und N. sei bei einem Verbleib im Haushalt der Mutter gefährdet. Abgesehen von der fehlenden Bindungstoleranz...

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