Verfahrensgang

OLG München (Beschluss vom 13.07.2005; Aktenzeichen 3 VAs 34/05)

OLG München (Gerichtsbescheid vom 19.04.2005; Aktenzeichen XI Zs 1319/2005)

StA München I (Gerichtsbescheid vom 18.03.2005; Aktenzeichen 245 VRs 235764/02)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Absehen von der Vollstreckung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) wegen einer bestandskräftigen Ausweisung (§ 456a StPO).

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. In den Grenzen der eingeschränkten Überprüfbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫) ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass die beteiligten Vollstreckungsbehörden und das Oberlandesgericht die Beendigung der Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB nicht als rechtlich erheblichen Nachteil ansahen. Weder wird hierdurch der Anspruch des Beschwerdeführers auf Resozialisierung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt noch sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die angegriffene Gerichtsentscheidung ist deshalb auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu beanstanden.

1. Die Rechtsstellung eines zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten ist wesentlich durch seinen gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf Resozialisierung bestimmt. Dem Straftäter soll die Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglicht werden. Ihm sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden; er soll lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪235≫; 45, 187 ≪238 f.≫; 96, 100 ≪115≫; 98, 169 ≪200≫).

Der Resozialisierungsanspruch ist vor allem auch für die Ausgestaltung des Maßregelvollzugs bestimmend, dessen Zweck aber unlösbar mit dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten verbunden ist. Nach der Konzeption der §§ 63 ff. StGB soll die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt den Schutz der Allgemeinheit durch eine Behandlung des Untergebrachten erreichen, die darauf abzielt, ihn von seinem Hang zu heilen und die zu Grunde liegende Fehlhaltung zu beheben. In Vollzug der Maßregel ist die Freiheitsentziehung auf eine Therapie hin ausgerichtet, die ihrerseits mit Mitteln rechtlichen Zwangs durchgesetzt werden kann. Die Unterbringung nach § 64 StGB darf wegen dieses Zweck-Mittel-Verhältnisses nur zur Suchtbehandlung angeordnet werden, die ihrerseits auf den Schutz der Allgemeinheit durch Besserung ausgerichtet sein muss. Hingegen kann eine solche Maßregel zur Heilbehandlung eines für die Allgemeinheit ungefährlichen Täters nicht angeordnet werden. Eine Auslegung des § 64 StGB, die den Sicherungsgedanken von der therapeutischen Funktion der Maßregel ablöste, wäre nicht geeignet, eine Freiheitsentziehung zu rechtfertigen, die nach dem Willen des Gesetzgebers zum Zwecke einer Suchttherapie angeordnet werden soll (vgl. BVerfGE 91, 1 ≪28≫). Vor diesem Hintergrund entfällt der Anordnungszweck für die Fortdauer des Maßregelvollzugs auch dann, wenn die Vollstreckungsbehörde nach § 456a Abs. 1 StPO wegen einer bestandskräftigen Ausweisungsverfügung von der weiteren Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Maßnahme absieht.

2. Der Beschwerdeführer hat die von ihm behaupteten zu erwartenden Verschlechterungen seines derzeitigen Gesundheitszustandes (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht hinreichend konkret dargetan und von der reinen Erwartung einer künftigen Verbesserung abgegrenzt. Vor allem aber ist die Frage, ob eine grundsätzlich auch in Freiheit durchführbare Behandlung in der Bundesrepublik geboten ist und fehlende Therapiemöglichkeiten im Heimatland der sofortigen Ausweisung entgegenstehen, eine – wie das Oberlandesgericht beanstandungsfrei ausgeführt hat – nach aufenthaltsrechtlichen Maßstäben zu bewertende Entscheidung, die den Vollstreckungsbehörden nicht obliegt. Ob von der Abschiebung abgesehen werden kann, weil für den Beschwerdeführer in seinem Heimatland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben besteht (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), oder ob eine Aufenthaltserlaubnis für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden kann, solange dringende humanitäre Gründe eine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (vgl. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufentG), haben die zuständigen Ausländerbehörden zu beurteilen.

3. Auch ein Verstoß gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutz (vgl. BVerfGE 30, 392 ≪403≫; 63, 215 ≪223 f.≫) und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪111≫; 65, 171 ≪174 f.≫) liegt nicht vor. § 456a Abs. 1 StPO sieht die vorzeitige Beendigung der Strafvollstreckung ausdrücklich auch für Maßregeln der Besserung und Sicherung vor. Ein von Verfassungs wegen bestehender Anspruch auf Vollzug einer Maßregel der Sicherung und Besserung bei Wegfall einer von dem Täter für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr besteht nach den vorangegangenen Darlegungen nicht. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Sachgerechtigkeit der Verfahrensweise gemäß § 456a StPO ist Sache der zuständigen Vollstreckungsbehörden und Fachgerichte und durch das Bundesverfassungsgericht nur begrenzt überprüfbar (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92≫).

4. Ein Verkennen von Bedeutung und Tragweite von Grundrechten oder gar Willkür ist diesbezüglich nicht ersichtlich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Broß, Osterloh, Mellinghoff

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1479227

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