Verfahrensgang

VG Berlin (Aktenzeichen 30 A 646.99)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO liegen nicht vor.

1. Die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist – ihre Zulässigkeit unterstellt – jedenfalls unbegründet. Nennt die Beschwerde als Entscheidung, von der das angefochtene Urteil abgewichen sei, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, so liegt eine Divergenz nur vor, wenn das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, in Anwendung derselben Rechtsvorschrift in einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist.

Die Beschwerde rügt, dass das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere von dem Urteil vom 19. August 1992 – BVerwG 6 C 25.90 – (NVwZ-RR 1993, 88 = Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 5) abweiche, soweit diese Rechtsprechung die Berücksichtigung der Bereitschaft, den verlängerten Zivildienst zu leisten, als „tragendes Indiz” für die Gewissensentscheidung verlange. Das Verwaltungsgericht habe dieses Indiz in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Damit habe es seiner Entscheidung einen Rechtssatz des Inhalts zugrunde gelegt, dass der verlängerte Zivildienst als tragendes Indiz für die Glaubwürdigkeit der geltend gemachten Gewissensentscheidung ausscheide.

An einer Divergenz fehlt es hier schon deshalb, weil die Beschwerde den Rechtssatz, der der Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragend zugrunde liegt, unzulässig verkürzt. Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung beruht auf dem sinngemäßen Rechtssatz, dass die Bereitschaft, den verlängerten Zivildienst als „lästige Alternative” zum Wehrdienst abzuleisten, kein tragendes Indiz für die Glaubhaftigkeit der Gewissensentscheidung sein kann, wenn das Gericht nach dem gesamten Verhalten des Wehrpflichtigen im gerichtlichen Verfahren und aufgrund seiner strafrechtlichen Verfehlungen, zu denen auch eine Körperverletzung unter Waffengebrauch gehört, zweifelt, dass der Wehrpflichtige eine ernstliche und absolut verbindliche Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen hat. Das Verwaltungsgericht stellt also keinen Rechtssatz des Inhalts auf, dass es auf die Bereitschaft, den verlängerten Zivildienst zu leisten, als „tragendes Indiz” für die Gewissensentscheidung auch in anderen Fallgestaltungen nicht ankomme.

2. Die Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) haben ebenfalls keinen Erfolg.

a) Die Beschwerde sieht § 108 VwGO als verletzt an, weil das Verwaltungsgericht den verlängerten und erschwerten Ersatzdienst als tragendes Indiz für eine Gewissensentscheidung nicht gewürdigt habe. Soweit die Beschwerde damit einen Verstoß gegen die Grundsätze der richterlichen Überzeugungsbildung behauptet, macht sie keinen Verfahrensfehler, sondern einen Verstoß gegen das materielle Recht geltend. Sie setzt der rechtlichen, aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu erschließenden Würdigung des Verwaltungsgerichts, nach der es auf die Bereitschaft zur Leistung des Ersatzdienstes im vorliegenden Einzelfall nicht ankommt, eine eigene davon abweichende Würdigung entgegen. Damit kann ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht dargetan werden.

b) Die Beschwerde hält es für eine Verletzung des Gebotes, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG, § 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1, § 108 Abs. 2 VwGO), dass das Verwaltungsgericht den Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2000 angesichts des Ausbleibens des Klägers nicht aufgehoben hat, um ihm in einem neuen Termin Gelegenheit zu geben, seine Gewissensgründe persönlich darzulegen.

Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Hat ein Gericht das persönliche Erscheinen des um seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer streitenden Wehrpflichtigen angeordnet, so kann es zwar eine Versagung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn das Gericht ohne den Wehrpflichtigen verhandelt und nach Aktenlage entscheidet (BVerwGE 50, 275). Das Gericht darf sich aber über die von ihm zunächst angenommene Notwendigkeit, sich einen persönlichen Eindruck von dem Wehrpflichtigen zu verschaffen, dann hinwegsetzen, wenn es die Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gewissensentscheidung auf andere Weise gewinnen kann (vgl. Beschlüsse vom 9. Dezember 1986 – BVerwG 6 CB 91.84 – Buchholz 310 § 102 VwGO Nr. 11 und vom 4. April 1997 – BVerwG 6 B 23.97 – nur in juris veröffentlicht). Diesen Weg hat das Verwaltungsgericht in Einklang mit der zitierten Rechtsprechung beschritten. Als Umstände, die gegen das Vorliegen einer Gewissensentscheidung sprechen und dementsprechend gewertet werden dürfen, kommen das nachlässige Betreiben des Anerkennungsverfahrens sowie die Absicht der Prozessverschleppung in Betracht (Beschluss vom 9. Dezember 1986, a.a.O.). Einem Anerkennungsbegehren kann daher in aller Regel nicht stattgegeben werden, wenn das Gericht aufgrund des Verhaltens des Klägers im Verwaltungsverfahren und/oder im Verwaltungsrechtsstreit zu der Gewissheit gelangt, dass er sein Anerkennungsbegehren nicht ernstlich, sondern uninteressiert und ohne Nachdruck verfolgt. Ohne Nachdruck verfolgt auch derjenige Wehrpflichtige sein Anerkennungsbegehren, der – wie der Kläger – nicht bereits terminsvorbereitend zu dem offenkundigen Widerspruch Stellung nimmt, dass er seine Gewissensentscheidung damit begründet hat, jegliche Gewaltanwendung für seine Person abzulehnen, aber wegen der Verletzung eines Menschen mit einer Schusswaffe, wegen weiterer Körperverletzung und wegen mehrfachen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, also der abstrakten Gefährdung von Leib und Leben anderer im Straßenverkehr durch das Führen eines Fahrzeuges ohne die hierfür erforderliche Eignung, strafrechtlich verurteilt worden ist. Der Kläger ist ferner dem zuvor bereits auf seinen Antrag hin mehrfach verlegten Termin am 26. Mai 2000 unentschuldigt ferngeblieben. Angesichts der besonderen Umstände des Falles durfte das Verwaltungsgericht dies in Zusammenschau mit der Art, wie der Kläger sein Anerkennungsbegehren betrieben hat, und dem Widerspruch zwischen der Begründung der Gewissensentscheidung und den strafrechtlichen Verurteilungen als Indizien für die mangelnde Ernsthaftigkeit seines Anerkennungsbegehrens bewerten. Dies schließt einen Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, durch Nichtaufhebung des Termins aus.

c) Die Beschwerde hält für einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung getroffen hat, ohne sich einen persönlichen Eindruck von dem Kläger zu verschaffen. Diese Rüge genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

Die Rüge eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) entspricht diesen Anforderungen nur dann, wenn dargelegt wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss dargelegt werden, dass im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 = DÖV 1998, 117 f.).

Die Beschwerde hätte mindestens darlegen müssen, wie der Kläger in einer Vernehmung vor dem Verwaltungsgericht den Widerspruch aufgeklärt hätte, dass er einerseits seine Gewissensentscheidung schriftlich damit begründet hatte, dass er jegliche Gewalt ablehne und niemals eine Waffe auch nur anfassen könne, er andererseits aber wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit dem Führen einer Schusswaffe rechtskräftig zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt worden ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG (vgl. Nr. 21.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – Fassung 1996 – ≪NVwZ 1996, 563≫).

 

Unterschriften

Bardenhewer, Eckertz-Höfer, Gerhardt

 

Fundstellen

NVwZ-RR 2001, 167

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