Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Aktenzeichen 9 A 5715/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. September 1999 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4 518,80 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) und des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensmangel) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Einen Verfahrensmangel sieht die Beschwerde darin, daß das Oberverwaltungsgericht die im Stadtgebiet des Beklagten zur Anwendung gelangte Kalkulationsmethode der Kombination von Abschreibungen auf der Grundlage von Wiederbeschaffungszeitwerten und der Zinsen vom Anschaffungsrestwert zum Nominalzins von 8 % für rechtlich unbedenklich erachtet hat, ohne hierzu ein betriebswirtschaftliches Sachverständigengutachten einzuholen. Diese Rüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie erfüllt bereits nicht die Mindestanforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Bezeichnung eines Zulassungsgrundes stellt. Hinsichtlich des von der Beschwerde insoweit behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muß danach u.a. substantiiert dargelegt werden, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muß entweder dargelegt werden, daß bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder daß sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde enthält keine Ausführungen dazu, zu welchem Ergebnis das für erforderlich gehaltene Sachverständigengutachten voraussichtlich gekommen wäre. Zu solchen Angaben hätte vor allem deswegen Veranlassung bestanden, weil nach dem materiellrechtlichen Standpunkt des Oberverwaltungsgerichts, von dem aus die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, zu beurteilen ist (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 14. Januar 1998 – BVerwG 11 C 11.96 – Buchholz 451.171 § 7 Atomgesetz Nr. 5 m.w.N.), davon auszugehen ist, daß sämtliche in der Betriebswirtschaft mit beachtlichem Gewicht vertretenen Lehrmeinungen über § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG Rechtsgeltung beanspruchen und der Gemeinde ein diesbezügliches Wahlrecht eröffnen. Die Beschwerde hätte mithin darlegen müssen, daß ein Sachverständigengutachten zum Ergebnis kommt, daß die vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Lehrmeinung diesen Voraussetzungen nicht entspricht. Hierzu reicht der Hinweis der Beschwerde, an keiner Stelle des Berufungsurteils fänden sich definitive Belege aus der betriebswirtschaftlichen Literatur dazu, daß die umstrittene Kombinationsrechnung kalkulatorischer Abschreibungen und Zinsen als betriebswirtschaftlich unbedenklich anzusehen sei, nicht aus. Auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die, wie dargelegt, nicht nach der „richtigen”, sondern nur nach einer mit beachtlichen Gründen vertretenen Lehrmeinung fragt, ist darüber hinaus nicht erkennbar, daß sich dem Oberverwaltungsgericht, das ständig mit der Materie befaßt ist und seiner Entscheidung eine Vielzahl betriebswirtschaftlicher Erkenntnismittel zugrunde gelegt hat, eine – vom anwaltlich vertretenen Kläger trotz der zu dieser Frage bestehenden ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts nicht beantragte – Beweiserhebung aufgedrängt hätte.

Fehl geht auch die Rüge der Beschwerde, dem Oberverwaltungsgericht sei bei der rechtlichen Würdigung der Unbedenklichkeit der in Rede stehenden Kombinationsberechnung ein ausnahmsweise als Verfahrensfehler anzusehender Verstoß gegen die Denkgesetze unterlaufen, der eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 VwGO darstelle. Wie die Beschwerde nicht verkennt, sind Verstöße gegen Denkgesetze bei der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen, so daß sie einen Revisionszulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründen können. Die Beschwerde meint allerdings, der von ihr geltend gemachte Verstoß betreffe eine nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassende Ausnahme von diesem Grundsatz. Es kann dahingestellt bleiben, ob hier ein solcher Ausnahmefall, der voraussetzt, daß sich der Denkfehler auf die tatsächliche Würdigung beschränkt und die rechtliche Subsumtion nicht berührt, vorliegt. Jedenfalls verlangt auch die Behauptung eines Verstoßes gegen Denkgesetze im Tatsachenbereich die Darlegung, daß das Gericht einen Schluß gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann (BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 26 m.w.N.). Daran fehlt es hier, denn diese Voraussetzung ist nicht schon dann erfüllt, wenn – wie die Beschwerde geltend macht – der vom Oberverwaltungsgericht gezogene Schluß aus den vorhandenen Erkenntnismitteln „nicht ohne weiteres” abzuleiten war, das Berufungsgericht „bereits die tatsächliche Aussagekraft der ihm vorliegenden betriebswirtschaftlichen Literatur verkannt” hat oder sich für die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die Kombinationsberechnung sei betriebswirtschaftlich unbedenklich, im Urteil keine Belege aus der betriebswirtschaftlichen Literatur finden. In Wahrheit rügt die Beschwerde insoweit die materiellrechtliche Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts. Ein Verfahrensmangel kann sich hieraus nicht ergeben.

Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde folgende Frage auf:

„Ist – unabhängig von den jeweiligen Regelungen im Landesrecht – eine Auslegung gebührenrechtlicher Vorschriften dann als willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG und unvereinbar mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Übermaßverbot – und bei einer Auslegung durch Gerichte zudem als unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG – anzusehen, wenn die Auslegung im Ergebnis darauf hinausläuft, daß von den Gebührenpflichtigen der Kostenfaktor Inflationsausgleich doppelt und nicht nur einfach vereinnahmt wird?”

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie betrifft die Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift des § 6 KAG und mithin irrevisibles Recht, dessen Nachprüfung dem Revisionsgericht versagt ist (§ 137 Abs. 1 VwGO) und das somit auch die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht begründen kann.

Die aufgeworfene Frage wird auch nicht dadurch zu einer solchen des revisiblen Rechts, daß sie die Beschwerde unabhängig von den jeweiligen Regelungen im Landesrecht beantwortet wissen will. Insoweit fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, weil diese Frage für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich gewesen ist. Revisibilität erlangt die Rechtsfrage auch nicht dadurch, daß die Beschwerde die Frage nach der Vereinbarkeit der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts mit Normen des Bundesverfassungsrechts stellt. Die Verletzung von Bundesrecht bei der Auslegung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur zu rechtfertigen, wenn die Beschwerde eine klärungsbedürftige Frage gerade des Bundesrechts darlegt, nicht aber dann, wenn nicht das Bundesrecht, sondern allenfalls das Landesrecht klärungsbedürftig ist (vgl. etwa BVerwG, Beschluß vom 23. März 1992 – BVerwG 5 B 174.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 306 m.w.N.). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Soweit die Beschwerde – was ihre Beschwerdebegründung unter B.II.1.a) nahelegt – mit ihrer Fragestellung der Sache nach einen Verstoß gegen das Kostendeckungsprinzip rügen will, ist ihr entgegenzuhalten, daß dieses Prinzip kein bundesverfassungsrechtlich vorgegebenes Gebot darstellt, sondern sich allein nach der jeweiligen einzelgesetzlichen – hier also landesrechtlichen und mithin irrevisiblen – Anordnung bestimmt (stRspr, vgl. schon BVerwGE 12, 162 ≪167≫ und Beschluß vom 7. Februar 1989 – BVerwG 8 B 129.88 – Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 40). Soweit die Beschwerde dagegen – worauf der in der Rechtsfrage genannte Maßstab der Verhältnismäßigkeit hindeuten könnte – in Wahrheit einen Verstoß gegen das (lediglich unzutreffend bezeichnete) Äquivalenzprinzip geltend machen will, fehlt es wiederum an der Klärungsbedürftigkeit dieser Frage, weil dieses Prinzip in seiner allgemeinen Bedeutung – soweit es als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots dem Bundesrecht angehört – als Verbot eines Mißverhältnisses zwischen der geforderten Abgabe und der von der Verwaltung erbrachten Leistung bereits geklärt ist (vgl. etwa Beschluß vom 28. März 1995 – BVerwG 8 N 3.93 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 75). Zusätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

Darüber hinaus mißt die Beschwerde folgender Frage grundsätzliche Bedeutung bei:

„Entspricht die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der ‚befestigten Grundstücksfläche’ in einer Gebührensatzung bei der Veranlagung zu Niederschlagswassergebühren dem Grundsatz der Normklarheit und damit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und führt die Verwendung eines solchen Rechtsbegriffes ohne satzungsrechtliche Legaldefinition bzw. nähere Erläuterungen zur Nichtigkeit der Satzung und damit zur Rechtswidrigkeit der Gebührenveranlagung?”

Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie betrifft die Auslegung einer wiederum dem irrevisiblen Landesrecht zuzuordnenden Norm des kommunalen Satzungsrechts. Auch insoweit vermag die Beschwerde keine Frage des revisiblen Bundesrechts aufzuzeigen, indem sie die Auslegungsfrage am Maßstab des Bundes(verfassungs)rechts geprüft wissen will, weil sie keinen Klärungsbedarf gerade dieses Maßstabs darlegt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hierzu bereits geklärt, daß das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot auch im Abgabenrecht der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht von vornherein entgegensteht; das Bestimmtheitsgebot ist erst dann verletzt, wenn es wegen der Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffs nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und die Gerichte ausschließen (vgl. etwa Beschlüsse vom 25. September 1989 – BVerwG 8 B 95.89 – Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 23 und vom 26. Oktober 1989 – BVerwG 8 B 59.89 – Buchholz 11 Art. 20 Nr. 113, jeweils m.w.N.). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt der Normgeber bei Abgabenrechtsregelungen dem Bestimmtheitsgebot, wenn er die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit trifft; er braucht nicht jede einzelne Frage zu entscheiden und ist hierzu angesichts der Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge oft auch nicht in der Lage. Vielmehr ist es Sache der Verwaltungsbehörden und Gerichte, die bei der Gesetzesanwendung mangels ausdrücklicher Regelungen auftauchenden Zweifelsfragen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden zu beantworten. Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer Regelung des Abgabenrechts noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit (vgl. BVerfGE 21, 209 ≪215≫; 78, 205 ≪212≫; 79, 106 ≪120≫). Soweit die Beschwerde meint, der kommunale Normgeber hätte durch satzungsrechtliche Legaldefinition bzw. nähere Erläuterung ein größeres Maß von Bestimmtheit bewirken müssen, zeigt sie weitergehenden Klärungsbedarf nicht auf, sondern wendet sich letztlich nur gegen die nach den dargelegten Grundsätzen dem Oberverwaltungsgericht obliegende Auslegung des kommunalen Satzungsrechts im Einzelfall. Damit läßt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.

 

Unterschriften

Hien, Dr. Storost, Prof. Dr. Rubel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI565761

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