Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Aktenzeichen 1 L 143/97)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. September 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Vorbringen ergibt nicht, dass die allein geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfüllt sind. Das berufungsgerichtliche Verfahren leidet nicht an den Mängeln, auf die sich die Beschwerde stützt.

1. Die Beschwerde macht als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 2, § 117 Abs. 4 VwGO geltend. Das Berufungsurteil sei zwar am 14. September 2000 verkündet, die schriftlichen Entscheidungsgründe seien aber erst am 13. Februar 2001 und damit kurz vor Ablauf der Fünfmonatsfrist zur Geschäftsstelle gelangt. Bei diesem Zeitraum sei nicht mehr gewährleistet, dass die schriftlichen Urteilsgründe den richterlichen Beratungsverlauf zutreffend wiedergäben, wie er in dem verkündeten Urteilsergebnis erkennbar sei. Das Berufungsurteil sei daher im Rechtssinne „nicht mit Gründen” versehen.

Ein durchgreifender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruht, besteht nicht. Die Beschwerde weist allerdings zu Recht darauf hin, dass auch verkündete Urteile gemäß § 117 Abs. 4 Satz 1 VwGO nach der Vorstellung des Gesetzgebers vor Ablauf von zwei Wochen nach Verkündung der Geschäftsstelle vollständig – also einschließlich der Entscheidungsgründe – zu übergeben sind. Das ist hier nicht geschehen. Ist eine insoweit fristgerechte Übergabe nicht möglich, ist auch bei verkündeten Urteilen gemäß § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO der Geschäftsstelle zumindest das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung zu übergeben. Ob auch dies nicht geschehen ist – wie die Beschwerde behauptet –, lässt sich anhand der dem Beschwerdegericht vorgelegten Akten des Berufungsverfahrens nicht feststellen. Einer näheren Aufklärung bedarf dieser Umstand indes nicht. Vielmehr kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass das Berufungsgericht die Bestimmung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO nicht erfüllt hat. Auch dann ergibt sich kein durchgreifender Verfahrensmangel.

Allerdings stellt § 117 Abs. 4 VwGO nicht lediglich eine Ordnungsvorschrift dar, sondern ist zwingendes prozessuales Verfahrensrecht (vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367 = NJW 1993, 2603). Bleibt das Erfordernis des vollständigen Urteils trotz § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO innerhalb der entsprechend §§ 516, 552 ZPO zu bestimmenden Fünfmonatsfrist unbeachtet, liegt ein Verfahrensmangel nur vor, wenn infolge der verzögerten Abfassung der Urteilsgründe nicht mehr gewährleistet ist, dass die Entscheidungsgründe das Beratungsergebnis und die für die Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO leitenden Erwägungen zuverlässig wiedergeben (vgl. bereits Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. August 1990 – BVerwG 7 C 41-43.89 – BVerwGE 85, 273). Unsicher wird auch, ob das Vorbringen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung als Teil des Gesamtergebnisses des Verfahrens seine hinreichende Beachtung gefunden hat. Die Missachtung des § 117 Abs. 4 VwGO stellt – im Gegensatz zu § 138 Nr. 6 VwGO – keinen absoluten Revisionsgrund dar. Maßgebend sind daher die Merkmale des Einzelfalles, ob die niedergelegten Gründe noch das seinerzeitige Beratungsergebnis richtig, vollständig und auch im Übrigen zuverlässig wiedergeben. Dabei kann der Umstand, dass ein verkündetes Urteil vorliegt und damit das Ergebnis der Entscheidung bereits festliegt, berücksichtigt werden. Denn zweifelhaft kann nicht mehr sein, zu welchem Ergebnis die beteiligten Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung gelangt sind (a.A. wohl Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 117 Rn 21). Je länger die Abfassung der Urteilsgründe indes verzögert wird und je näher sich diese Zeit der sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 516, 552 ZPO ergebenden Grenze nähert, umso deutlicher muss allerdings erkennbar bleiben, dass die mit § 117 Abs. 4 VwGO verfolgte Zielsetzung noch gewahrt bleibt. Das gilt im Regelfall vor allem dann, wenn für die Entscheidungsfindung ein unmittelbarer, d.h. persönlicher Eindruck der an der Entscheidung beteiligten Richter bedeutsam ist (vgl. bereits Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Februar 1980 – BVerwG 6 CB 101.78 – BVerwGE 60, 14 ≪16≫).

Das Vorbringen der Beschwerde vermag nicht aufzuweisen, dass im Streitfall das Entscheidungsergebnis, das Beratungsergebnis und die gegebene Entscheidungsbegründung mutmaßlich auseinander fallen und auch die Beurkundungsfunktion des Berufungsurteils hinsichtlich seines Tatbestandes nicht mehr gewährleistet ist. Dem Beschwerdegericht wäre – dürfte es bei unterstellter Revisibilität des Landesrechts die sachliche Richtigkeit der Berufungsentscheidung prüfen – dies anhand der Entscheidungsgründe ohne weiteres möglich. Das gilt zunächst für den gestellten Hauptantrag. Das Berufungsgericht legt dar, dass das klägerische Vorhaben genehmigungsbedürftig war. Das Gericht verweist dazu unter anderem auf seine bisherige Rechtsprechung. Die Annahme formeller Illegalität der vom Kläger durchgeführten Maßnahmen erschließt sich nach Maßgabe des mitgeteilten Tatbestandes ohne weiteres. Dass dieser unrichtig ist, behauptet die Beschwerde nicht. Von der durch § 119 Abs. 1 VwGO eröffneten Möglichkeit der Berichtigung hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Auch hinsichtlich der beiden Hilfsanträge ergibt das Vorbringen der Beschwerde nicht, dass die Entscheidungsgründe das Beratungsergebnis mutmaßlich nicht korrekt wiedergeben. Die berufungsgerichtliche Begründung gibt in nachvollziehbarer Weise an, dass das Gericht zur Beurteilung der tatsächlichen Situation der vorprozessualen Sachdarstellung und dem erstinstanzlichen Vorbringen des beigeladenen Landesamtes gefolgt ist. Die Richtigkeit dieser Sachdarstellung hatte das Berufungsgericht durch Einnahme des Augenscheins unter Berücksichtigung der zu den Akten gereichten Fotografien geprüft (vgl. Niederschrift über den Ortstermin vom 7. September 2000). Weitere Fotografien hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2000 überreicht. Diese jederzeit einzusehenden Grundlagen erlaubten es dem Berufungsgericht auch in dem späteren Zeitpunkt der Abfassung der Urteilsgründe, das seinerzeit gefundene Ergebnis der Beratung mit hinreichender Gewissheit schriftlich darzustellen. Zwar verweist das Berufungsgericht auf den „Eindruck” und das „Empfinden eines für die Belange des Denkmalschutzes aufgeschlossenen Betrachters”. Eine derartige Auslegung des landesrechtlichen Denkmalschutzes mag für den Kläger die verständliche Annahme auslösen, eine rechtliche Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen sei nur aufgrund einer persönlichen Wahrnehmung „vor Ort” zuverlässig möglich. Dies trifft in beweisrechtlicher Hinsicht aber nicht zu. Je nach Sachlage ist es durchaus möglich, anhand einer als solches unumstritten Sachdarstellung, anhand eines Kartenmaterials und anhand von Lichtbildern eine tatrichterliche Beurteilung und Würdigung vorzunehmen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht etwa zur Beurteilung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB wiederholt ausgesprochen (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. Oktober 1996 – BVerwG 4 B 195.96 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 276). Das Vorbringen der Beschwerde trägt keine konkreten Hinweise vor, aus denen sich ergeben kann, dass das vorliegende schriftliche Material die Schlüsse nicht rechtfertigt, welche das Berufungsgericht dargelegt hat. Die Einnahme des richterlichen Augenscheins im Berufungsrechtszuge hatte nicht der erstmaligen Ermittlung des Sachverhalts gegolten, sondern der Kontrolle der vom beigeladenen Landesamt gegebenen Sachdarstellung. Dies legen die Entscheidungsgründe nachvollziehbar dar und befassen sich alsdann mit klägerischen Einwendungen. Soweit die Beschwerde hierzu die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der Niederschrift über den Ortstermin geltend macht, kann darauf ein Verfahrensmangel ohnehin nicht gestützt werden. Der anwaltlich vertretene Kläger muss sich entgegenhalten lassen, dass er selbst und sein Prozessbevollmächtigter in den Ortsterminen vom 16. Juni 1997 und vom 7. September 2000 anwesend waren. Die Niederschriften wurden in ihrer Gegenwart diktiert. Einwände wurden nicht erhoben, auch eine Berichtigung der Niederschrift nicht beantragt. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine mangelhafte Aufklärung und damit eine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO rügt, betrifft dies nicht den zu § 117 Abs. 4 VwGO geltend gemachten Verfahrensfehler.

2. Die Beschwerde macht als weiteren Verfahrensfehler eine Verletzung des § 96 Abs. 2 VwGO geltend. Lediglich der Vorsitzende des Senats und gleichzeitige Berichterstatter habe die Örtlichkeit in Augenschein genommen, nicht hingegen die übrigen Berufsrichter und die ehrenamtlichen Richter. Es sei ermessensfehlerhaft gewesen, den Berichterstatter als beauftragten Richter mit der Beweiserhebung zu betrauen. Die Beschwerde legt in diesem Zusammenhang auch näher dar, in welcher Weise nach ihrer Ansicht die Entscheidungsgründe maßgeblich auf dem alleinigen Ortseindruck des Vorsitzenden des Senats beruhten. Die Verfahrensrüge ist – ihre Zulässigkeit unterstellt – jedenfalls unbegründet.

2.1 Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 VwGO besteht nicht. Die Beweisaufnahme im Wege der Augenscheinseinnahme durch den beauftragten Richter war verfahrensrechtlich korrekt. Ein bestellter Berichterstatter ist gemäß § 125 Abs. 1, § 87 Abs. 3 Satz 1 VwGO kraft Gesetzes ermächtigt, einzelne Beweise zu erheben. Der Berichterstatter des vorinstanzlichen Verfahrens hat seine Verfahrensweise mit Beschluss vom 28. Juli 2000 gegenüber den Beteiligten offen gelegt. Das ist nicht zu beanstanden, sondern war vielmehr zweckmäßig. Der Vorsitzende des Senats war ausweislich der Akten durch Bestellung Berichterstatter. Auch dies ist prozessual zulässig. Rügen gegen die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank hat die Beschwerde nicht erhoben.

2.2 Dass der Berichterstatter des Berufungsverfahrens die Voraussetzungen des § 87 Abs. 3 Satz 2 VwGO bejaht hat, war ebenfalls unbedenklich. Maßgebend ist nicht die spätere Sicht der Dinge, wie sie die Beschwerde kritisiert. Ein Mitglied des Prozessgerichts gerade mit der Wahrnehmung des Augenscheins zu beauftragen, wird nicht nur durch § 87 Abs. 3 VwGO, sondern auch durch § 96 Abs. 2, § 98 VwGO in Verb. mit § 371 ZPO und durch § 98 VwGO, § 372 Abs. 2 ZPO ermöglicht. Es mag dahinstehen, in welcher Hinsicht das Revisionsgericht das tatrichterliche Ermessen, wie es in § 87 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VwGO zum Ausdruck kommt, überprüfen kann. Jeder Verfahrensbeteiligte kann unter den Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden § 98 VwGO, § 398 Abs. 1, § 412 Abs. 1 ZPO eine nochmalige Einnahme des richterlichen Augenscheins durch die vollbesetzte Richterbank verlangen. Das kann auch durch förmlichen Beweisantrag geschehen. Ausweislich der berufungsgerichtlichen Akten hat der anwaltlich vertretene Kläger von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Das gilt insbesondere für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, in der vor der besetzten Richterbank über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln war (vgl. § 173 VwGO, § 285 Abs. 1 ZPO).

Die Tatsache, dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist allerdings dann unerheblich, wenn sich dem Tatsachengericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung aufdrängen musste. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung indes grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei nicht ausdrücklich beantragt hat. Die mit der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge mangelhafter Aufklärung kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, die namentlich ein anwaltlich vertretener Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. August 1997 – BVerwG 1 B 144.97 – NJW-RR 1998, 784). So liegt es hier. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass sich dem Berufungsgericht – bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – eine Einnahme des Augenscheins durch sämtliche Richter aufdrängen musste. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang die vorinstanzliche Beweiswürdigung umfassend kritisiert, führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers. Die Ausführungen der Beschwerde stellen sich insoweit lediglich als Angriff auf die sachliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar, indem der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts eine eigene, davon abweichende Beweiswürdigung entgegengesetzt wird. Damit kann ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dargetan werden. Die Ausführungen haben auch keinen Bezug zu der Frage, aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht gerade im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die von der Beschwerde geforderte anderweitige Aufklärung aufdrängen musste.

3. Die Beschwerde macht des Weiteren geltend, das Berufungsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Einen derartigen Verstoß ergibt das Vorbringen indes nicht. Auch die geltend gemachte Verletzung des § 138 Nr. 3 VwGO besteht nicht.

3.1 Der anwaltlich vertretene Kläger hatte die Möglichkeit – wie die Beschwerde selbst ausführt – sich zum Sachverhalt und insbesondere zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern. Sowohl der Kläger als auch sein Prozessbevollmächtigter kannten den Sachverhalt, wie er Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen war. Wenn der anwaltlich vertretene Kläger im Zweifel war, ob der Sachverhalt den übrigen Richtern hinreichend vermittelt war, so konnte er – wie dargelegt – einen entsprechenden Beweisantrag stellen. Das ist nicht geschehen. Eine Frage des rechtlichen Gehörs war dies alles nicht. Denn der anwaltlich vertretene Kläger ist gerade nicht gehindert worden, entsprechende Anträge zu stellen und diese zu begründen. Die von der Beschwerde in Wahrheit beanstandete unzureichende Aufklärung des Sachverhalts ist keine Frage des rechtlichen Gehörs. Das gilt auch für die von ihr kritisierte tatrichterliche Beweiswürdigung.

3.2 Eine von der Beschwerde geltend gemachte Überraschungsentscheidung liegt ebenfalls nicht vor. Eine Entscheidung stellt sich als unzulässiges „Überraschungsurteil” dann dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. dazu auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. März 1980 – BVerwG 4 C 87.77 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 30 = Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 13). Davon kann nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerde keine Rede sein. Ihre Erwartung, der Berichterstatter und später der Vorsitzende hätten zumindest „Andeutungen” zu Rechts- und zur Sachverhaltslage machen müssen, überspannt die richterliche „Fürsorgepflicht” als prozessuale Rechtspflicht. Der Kläger war im Einklang mit § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO anwaltlich vertreten. Das Berufungsgericht durfte also davon ausgehen, dass sich der Prozessbevollmächtigte mit der maßgeblichen Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut gemacht hatte.

Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, das Berufungsgericht werde den Streitfall nicht anders als das erstinstanzliche Gericht entscheiden, wenn dieses seine Entscheidung auf eine vom Berufungsgericht bisher vertretene Rechtsprechung gestützt hat. Zwar können im Einzelfall die Dinge so liegen, dass ein Beteiligter mit einer im Ergebnis anderen als der erstinstanzlichen Entscheidung selbst für den Fall nicht zu rechnen braucht, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung auf von seiner bisherigen Rechtsprechung unabhängige Gesichtspunkte stützen sollte, die in dieser Rechtsprechung bisher keine Rolle gespielt haben. Das Berufungsgericht hat hier – lässt man die Besonderheiten des Landesrechts einmal beiseite – keinen Rechtsstandpunkt eingenommen, der nicht aufgrund der vorhandenen Rechtsprechung, wie sie die Beschwerde selbst anführt, bekannt sein konnte. In einem gerichtlichen Verfahren, insbesondere in einem Berufungsverfahren, in dem die Kontrahenten anwaltlich vertreten sind, müssen die Beteiligten auch ohne besonderen Hinweis des Gerichts damit rechnen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde legt. Auf die vorhandene Rechtsprechung hinzuweisen, bestand für das Gericht also kein Anlass. Dass eine Frage des Umgebungsschutzes zu beurteilen sein würde, lag auf der Hand und war nach dem Ergebnis beider Ortstermine in keiner Hinsicht zweifelhaft.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang Auslegungsfragen des schleswig-holsteinischen Denkmalschutzrechts erörtert, betrifft dies Fragen des materiellen Landesrechts, das sich ohnedies einer Beurteilung des Beschwerdegerichts entzieht (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwerts wird maßgebend durch die Annahme bestimmt, dass der Kläger bei Prozessverlust angesichts formeller und materieller Illegalität mit einer Beseitigungsanordnung zu rechnen hat.

 

Unterschriften

Berkemann, Halama, Jannasch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI600332

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