Verfahrensgang

Hessischer VGH (Aktenzeichen 3 UE 597/01.A)

 

Tenor

Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Ursula Schlung-Muntau, Jahnstraße 49, 60318 Frankfurt, als Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juni 2001 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe

Die Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.

Zu Recht rügt die Beschwerde die Ablehnung des Beweisantrags des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den gesundheitlichen Risiken für den Fall seiner Rückkehr nach Angola als verfahrensfehlerhaft.

Der Kläger hat im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO schriftsätzlich beantragt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass er im Falle der Rückkehr wegen seiner nicht mehr vorhandenen Anpassungsmöglichkeit im Immunsystem an die dortigen Infektions- und Erkrankungsrisiken auf dem Hintergrund des heruntergewirtschafteten Gesundheits- und Sozialwesens in Angola in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung bzw. bald danach schwerwiegend an einer der dort vorkommenden Tropenerkrankungen (wie Typhus, Hepatitis, Malaria usw.) mit der Folge schwerster gesundheitlicher Schäden bis hin zum Tod erkranken werde. Das Berufungsgericht ist dem Antrag nicht nachgekommen und hat dies in dem angefochtenen Beschluss damit begründet, dass es sich um einen „unzulässigen Beweisermittlungsantrag” (BA S. 8) handele. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger, der immerhin bis zu seinem 24. Lebensjahr in seinem Heimatland gewohnt habe, bei einer Abschiebung nach Luanda wegen der dortigen hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen sehenden Auges dem sicheren Tod entgegenginge. Der Kläger sei ersichtlich gesund, so dass nicht erkennbar sei, weshalb er sich den Lebensbedingungen in Angola und insbesondere auch den schwierigen gesundheitlichen Bedingungen nicht wieder werde anpassen können. Jedenfalls sei nicht vorgetragen, aus welchen Gründen sich das Immunsystem des Klägers in den Jahren seines Auslandsaufenthalts in einer Weise verändert haben sollte, die ihm eine Rückkehr unmöglich machen würde (BA S. 8 f.).

Die auf diese Erwägungen gestützte Ablehnung des Beweisbegehrens des Klägers ist verfahrensfehlerhaft. Zwar steht es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts (§ 98 VwGO in Verbindung mit § 412 ZPO in entsprechender Anwendung), die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens etwa wegen bereits vorhandener Erkenntnismittel oder im Hinblick auf die sonst ausreichend bestehende eigene Sachkunde abzulehnen (vgl. etwa Beschluss vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60; Beschluss vom 11. Februar 1999 – BVerwG 9 B 381.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 42). Hier hat sich das Berufungsgericht indes weder auf dieses Ermessen noch auf eine besondere eigene Sachkunde berufen. Es ist im Übrigen auch nichts dafür ersichtlich und vom Berufungsgericht nicht dargelegt, dass zu den vom Kläger aufgeworfenen Fragen zur Rückbildung des Immunsystems aus Afrika stammender Ausländer, die sich längere Zeit in Europa aufgehalten haben, ausreichende Erkenntnisse vorliegen.

Das Berufungsgericht hat die Ablehnung des Sachverständigenbeweisantrags vielmehr damit begründet, dass es sich um einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag handele. Diese Begründung trägt die Ablehnung jedoch nicht. Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt nur vor in Bezug auf Tatsachenbehauptungen, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft gegriffen”, „ins Blaue hinein”, also „erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage” erhoben worden sind (Beschluss vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99 – a.a.O.; Beschluss vom 5. November 1998 – BVerwG 7 B 199.98 – RÜ BARoV 1999, Nr. 3, 7; Beschluss vom 2. Juli 1998 – BVerwG 11 B 30.97 – Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 2 = NVWZ 1999, 654; Beschluss vom 25. Januar 1988 – BVerwG 7 CB 81.87 – NJW 1988, 1746). Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat in seinem Beweisantrag hinreichend substantiiert dargelegt, weshalb er im Falle seiner Rückkehr ein besonderes Erkrankungsrisiko befürchtet. Dies habe seine Ursache darin, dass ihn sein Immunsystem wegen seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet (seit 1993) nicht mehr hinreichend vor den Folgen der in Luanda verbreitet vorkommenden Tropenkrankheiten, insbesondere Typhus, Hepatitis und Malaria, schützen würde und er deshalb im Hinblick auf das dortige desolate Gesundheitswesen mangels ärztlicher Behandlung unmittelbar lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt wäre. „Völlig aus der Luft gegriffen” erscheint diese Behauptung nicht, zumal der Kläger ihre Plausibilität durch konkreten Hinweis auf ein von einem anderen Oberverwaltungsgericht hierzu eingeholtes Sachverständigengutachten untermauert hat. Das Berufungsgericht durfte dem Kläger in diesem Zusammenhang auch nicht entgegenhalten, dass er keine eigene ärztliche Stellungnahme vorgelegt habe, welche die Plausibilität oder Richtigkeit seiner Behauptung belegen würde (so aber BA S. 9). Dies wäre anders, wenn der Kläger besondere Gefahren im Hinblick auf eine eigene Erkrankung oder risikoerhöhende Veranlagung geltend gemacht hätte. Das ist jedoch nicht der Fall.

Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht als unzulässigen Beweisermittlungsantrag ablehnen dürfen. Ein anderer tragfähiger Beweisablehnungsgrund ist nicht ersichtlich. Die Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensrechtsverstoß; denn das Berufungsgericht hat die unter Beweis gestellte Tatsache aus seiner insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht erkennbar als entscheidungserheblich angesehen und wäre demzufolge bei Befolgung des Beweisantrags möglicherweise zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt. Deshalb ist die Sache, die ausschließlich den Anspruch des Klägers auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zum Gegenstand hat, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die von der Beschwerde zudem geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) steht der Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht entgegen, da dieser Revisionszulassungsgrund nicht vorliegt. Die aufgeworfene Frage, ob Rückkehrer generell, unabhängig von gesundheitlichen Vorbelastungen im Einzelfall, nach einem längeren Auslandsaufenthalt nicht mehr in der Lage sind, aufgrund ihres nicht mehr angepassten Immunsystems, den dortigen schweren Gesundheitsrisiken zu begegnen (Beschwerdebegründung S. 2), zielt nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die den Tatsachengerichten vorbehaltene Klärung der tatsächlichen Verhältnisse in Angola. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kann mit dieser Frage nicht erreicht werden.

Auch die damit zusammenhängende weitere Frage, ob Gefährdungen wegen des zurückgebildeten Immunsystems als Vollstreckungshindernis nach § 55 AuslG von der Ausländerbehörde zu prüfen oder als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis zu berücksichtigen seien (so sinngemäß Beschwerdebegründung S. 2), führt nicht zur Zulassung der Revision, da sie sich mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren nicht stellen würde. Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres, dass die im Zielstaat der Abschiebung drohende Gesundheitsgefahr auch dann ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG begründen kann, wenn sie durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt ist (Urteil vom 25. November 1997 – BVerwG 9 C 58.96 – BVerwGE 105, 383 ≪385 ff.≫; vgl. ferner Urteil vom 18. März 1998 – BVerwG 9 C 36.97 – juris; Urteil vom 27. April 1998 – BVerwG 9 C 13.97 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 12).

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf §§ 114 f., 121 ZPO; sie war dem Kläger nach seinen glaubhaft gemachten Einkommensverhältnissen ohne Ratenzahlung zu gewähren.

 

Unterschriften

Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Dr. Eichberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI706538

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