Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen A 9 S 880/99)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der 1957 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger. Er reiste 1992 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 9. Juni 1994 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihm die Abschiebung nach Togo an.

Das Verwaltungsgericht hob mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 3. Mai 1995 den Ablehnungsbescheid des Bundesamts auf, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Togo angedroht wurde. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger müsse im Falle seiner Abschiebung nach Togo eine menschenrechtswidrige Behandlung durch die dortigen Sicherheitskräfte befürchten, weil aus dem Ausland zurückkehrende Flüchtlinge generell als Regimegegner angesehen würden.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 1997 drohte das Bundesamt dem Kläger erneut die Abschiebung nach Togo an. Aufgrund der zwischenzeitlichen Asylrechtsprechung lägen für togoische Staatsangehörige allein wegen der Asylantragstellung und eines Auslandsaufenthalts keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG im Hinblick auf ihr Heimatland vor. Da der Kläger weder als Asylberechtigter anerkannt worden sei, noch eine Aufenthaltsgenehmigung besitze, sei die Abschiebungsandrohung im Hinblick auf die zwischenzeitlich gefestigte oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Rückkehrgefährdung abgelehnter togoischer Asylbewerber erneut zu erlassen.

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamts aufgehoben, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Togo angedroht wurde, weil dorthin abgeschobene Asylbewerber nach wie vor eine unmenschliche Behandlung durch die staatlichen Behörden befürchten müssten.

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid des Bundesamts sei dahin auszulegen, dass in ihm dem Kläger nicht nur die Abschiebung nach Togo angedroht, sondern darüber hinaus erneut das Fehlen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos festgestellt werde. In den beiden Punkten sei der Bescheid rechtswidrig. Ihm stehe die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 1995 entgegen. In dem Urteil habe das Verwaltungsgericht selbst ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 EMRK hinsichtlich Togos festgestellt. Eine nachträgliche Änderung der Sachlage, die von der Rechtskraftwirkung dieses Urteils entbinden könnte, sei zwischenzeitlich nicht eingetreten. Die heutige Gefährdungslage für nach Togo zurückkehrende abgelehnte Asylbewerber unterscheide sich nicht von der im Mai 1995.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich jedenfalls im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Zwar misst das Berufungsgericht dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. Oktober 1997 eine zusätzliche Bedeutung zu, die er nicht hat. Gleichwohl hat es im Ergebnis zu Recht die Aufhebung dieses Bescheids durch das Verwaltungsgericht bestätigt, da der erneuten Abschiebungsandrohung die Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 3. Mai 1995 entgegensteht.

Das Bundesamt hat mit dem angefochtenen Bescheid dem Kläger ausschließlich die Abschiebung nach Togo angedroht. Nach Auffassung des Berufungsgerichts wurde damit indes zugleich erneut durch das Bundesamt festgestellt, dass hinsichtlich Togos Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG nicht – mehr – vorliegen (UA S. 4). Mit dieser Interpretation überschreitet das Berufungsgericht die Grenzen einer zulässigen Auslegung des Bundesamtsbescheids (zu den Auslegungskriterien und der Befugnis einer eigenständigen Auslegung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts durch das Revisionsgericht vgl. Urteil vom 9. Juni 1983 – BVerwG 2 C 34.80 – BVerwGE 67, 222 ≪234≫; Urteil vom 24. November 1998 – BVerwG 9 C 53.97 – BVerwGE 108, 30 ≪35≫; Urteil vom 2. September 1999 – BVerwG 2 C 22.98 – BVerwGE 109, 283 ≪286≫; stRspr). Ausweislich des handschriftlichen Vermerks vom 13. Oktober 1997 in der Akte des Bundesamts sah der zuständige Sachbearbeiter keine Veranlassung, erneut das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen im Hinblick auf Togo festzustellen, da ein solches Abschiebungshindernis in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht festgestellt worden sei; in dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 1995 sei allein die Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Folgerichtig hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid vom 14. Oktober 1997 dem Kläger gegenüber lediglich erneut die Abschiebung nach Togo angedroht. Auch die diesem Bescheid beigefügte Begründung enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass zugleich das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen festgestellt werden sollte. Angesichts des objektiv eindeutigen Erklärungsinhalts des Bescheids und in Anbetracht der ihn bestätigenden Begleitumstände seines Erlasses durfte das Berufungsgericht ihm die angenommene erweiterte Bedeutung auch nicht mit der Erwägung unterlegen, die Feststellung, dass hinsichtlich Togos keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, sei notwendige Voraussetzung für die beabsichtigte Abschiebung des Klägers nach Togo.

An der erneuten Abschiebungsandrohung war das Bundesamt durch die Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 3. Mai 1995 gehindert. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das einer Anfechtungsklage stattgebende rechtskräftige Urteil gemäß § 121 VwGO den Erlass eines erneuten Verwaltungsakts gleichen Inhalts aus den vom Gericht missbilligten Gründen durch dieselbe Behörde verbietet (stRspr; Urteil vom 30. August 1962 – BVerwG 1 C 161.58 – BVerwGE 14, 359 ≪362 f.≫; Urteil vom 16. Juli 1963 – BVerwG 7 C 96.62 – BVerwGE 16, 224 ≪226≫; Urteil vom 8. Dezember 1992 – BVerwG 1 C 12.92 – BVerwGE 91, 256 ≪258≫; vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom gleichen Tag – BVerwG 1 C 4.01 – m.w.N.). Die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 1995, durch das die Abschiebungsandrohung wegen des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos im Bescheid des Bundesamts vom 9. Juni 1994 aufgehoben wurde, hindert danach den erneuten Erlass einer Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt.

Die Rechtskraftwirkung des Urteils ist auch nicht, wie die Beklagte meint, durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse entfallen. Sie endet allerdings, wenn sich die für das Urteil maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert. Dies ist dann der Fall, wenn neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Dies ist in dem zeitgleich ergangenen Urteil des erkennenden Senats in der Sache BVerwG 1 C 7.01 im Einzelnen dargelegt; hierauf wird verwiesen.

Von diesem rechtlichen Maßstab zur Bestimmung der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft geht im Kern auch das angefochtene Urteil aus. Das Berufungsgericht stellt letztlich entscheidend darauf ab, ob sich die „für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen wesentlichen Faktoren, wie die allgemeine politische Lage in Togo, die Herrschaft des Präsidenten Eyadema und seiner Partei RPT über Togo, die allgemeine Menschenrechtslage und in erster Linie die Verhaltensweise des Regimes gegenüber nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union abgeschobenen Togoern,” nachhaltig geändert haben (UA S. 8).

Eine entscheidungserhebliche Änderung der für die Gefahrenprognose wesentlichen Merkmale verneint das Berufungsgericht. Es stellt fest, dass die Erkenntnismittel, auf die sich die richterliche Gefahrenprognose stützt, im Mai 1995 ebenso uneinheitliche Aussagen enthielten wie im Februar 2001 zum Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen Urteils. Auch die zwischenzeitliche politische Entwicklung in Togo, wie etwa die „zu Gunsten Eyadèma's manipulierten Präsidentschaftswahlen vom Juni 1998” (UA S. 11), führen nach Auffassung des Berufungsgerichts zu keiner veränderten Beurteilung der entscheidenden Frage, ob nach Togo zurückkehrende Asylbewerber allein wegen des Auslandsaufenthalts und der Asylantragstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung durch das Regime zu befürchten haben.

Dies ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Dabei ist es unschädlich, dass die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und seine darauf fußende tatrichterliche Würdigung der Verhältnisse in Togo in erster Linie die Frage nach dem Vorliegen von Abschiebungshindernissen gem. § 53 AuslG zum Gegenstand hat, da dies zugleich maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist. Für die Beantwortung der Frage, ob sich die Sachlage seit dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 1995 erheblich geändert hat, können diese Feststellungen und Erwägungen ohne weiteres herangezogen werden.

An die der Gefahrenprognose zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist das Revisionsgericht mangels hiergegen vorgebrachter Revisionsgründe gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Auch soweit die Gefahrenprognose auf der tatrichterlichen Würdigung dieser Feststellungen beruht, ist sie der revisionsrichterlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen (Urteil vom 19. September 2000 – BVerwG 9 C 12.00 – ≪UA S. 11 f.≫ – BVerwGE 112, 80). Verletzungen revisiblen Rechts bei der Anwendung des rechtlichen Maßstabs für die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft lässt das Urteil auch im Übrigen nicht erkennen. Insbesondere hat das Berufungsgericht bei seiner Gefahrenprognose nicht die besondere Bedeutung der Zahl zurückgeführter erfolgloser Asylbewerber auf der einen und belegter erheblicher Übergriffe gegen diese auf der anderen Seite verkannt (UA S. 9). Es hat jedoch, anders als die Revision, auch insofern keine wesentliche Änderung der Verhältnisse seit Mai 1995 feststellen können. Auch dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Ohne Erfolg beruft sich die Revision in diesem Zusammenhang auf die Aussage im Urteil des 9. Senats vom 19. September 2000 (a.a.O., ≪UA S. 7≫ – BVerwGE 112, 80), wonach aus dem Ablauf einer längeren Zeitspanne auch ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat eine erhebliche, die Pflicht zum Widerruf begründende Veränderung der Verhältnisse folgen könne. Zum einen ist sie auf den Widerruf einer Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bezogen und ungeachtet einer im Grundsatz vergleichbaren Problemlage nicht ohne weiteres auf die Frage nach den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft übertragbar. Zum anderen hatte diese Aussage des 9. Senats in dem Urteil vom 19. September 2000 ersichtlich lediglich die Fallkonstellation vor Augen, dass die Asylanerkennung zunächst auf unsicherer Tatsachengrundlage wegen einer allgemeinen Rückkehrgefährdung zumindest vertretbar erfolgt ist, sich später aber eine andere Gefahrenprognose aufdrängt, weil trotz zahlreicher Rückführungen keine Verfolgungsfälle festgestellt werden. Auch insoweit taugt sie nicht als Einwand gegen das angefochtene Urteil, da diesem eine andere Fallgestaltung zugrunde liegt. Allerdings kann nach den oben dargelegten Grundsätzen – insoweit zielt der Einwand der Revision im Grundsatz in die richtige Richtung – gerade in asylrechtlichen Streitigkeiten der Zeitablauf als Indiz für eine mögliche erhebliche Sachlagenänderung durchaus von Bedeutung für die Rechtskraftwirkung sein. In Anbetracht der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und seiner tatrichterlichen Würdigung zu der im Wesentlichen unverändert gebliebenen Gefährdungslage kann hier indes auch unter dem Gesichtspunkt des Zeitablaufs die Rechtskraftbindung an das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht verneint werden.

Die angefochtene Abschiebungsandrohung kann schließlich auch nicht in eine Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass keine Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorlägen. Zwar stünde einer solchen Feststellung nicht die Rechtskraft des Urteils vom 3. Mai 1995 entgegen (vgl. dazu das zeitgleich ergangene Urteil des erkennenden Senats in der Sache BVerwG 1 C 4.01). Eine Umdeutung nach § 47 VwVfG verbietet sich jedoch schon deshalb, weil die negative Feststellung zu § 53 AuslG nicht auf das gleiche Ziel gerichtet wäre wie die Androhung der Abschiebung nach Togo.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert folgt aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Dr. Eichberger

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 18.09.2001 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI666466

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