Beteiligte

Rechtsanwälte Hans-Jürgen Wolter und Guido Stark

 

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt haben. Insoweit sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 21. September 1999 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 26. Januar 2000 mit Ausnahme der jeweiligen Kostenentscheidung unwirksam.

Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beklagte und der Beteiligte je zur Hälfte.

 

Gründe

I.

Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit; er stammt aus dem Zentralirak. Mit Bescheid vom 21. Februar 1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) die von ihm beantragte Gewährung von Asyl ab, stellte aber fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Der Kläger müsse wegen seiner Asylantragstellung in Deutschland bei einer Rückkehr in den Irak politische Verfolgung befürchten.

Im Februar 1998 teilte die Grenzschutzdirektion Koblenz dem Bundesamt mit, ausweislich von Stempeleintragungen türkischer Grenzbehörden am Grenzkontrollpunkt Sirnhak an der Grenze zum Nordirak habe sich der Kläger von August bis Oktober 1997 im Irak aufgehalten. Nach vorheriger Anhörung widerrief daraufhin das Bundesamt mit Bescheid vom 5. Mai 1998 die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und stellte unter Nr. 2 des Bescheids fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung führte es aus, die Situation im Nordirak sei nach derzeitigem Erkenntnisstand nunmehr grundlegend anders als zur Zeit des Ausgangsbescheids zu bewerten. Für Anhörige der kurdischen Volksgruppe bestehe im Nordirak keine Verfolgungsgefahr. Dies werde auch durch die vorübergehende Rückreise des Klägers in den Irak bestätigt.

Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid aufgehoben, das Berufungsgericht die Berufungen der Beklagten und des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Widerruf einer Asylanerkennung setze nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG voraus, dass die Umstände, welche eine politische Verfolgung begründeten, nachträglich weggefallen seien. Eine geänderte Erkenntnislage allein rechtfertige den Widerruf hingegen nicht. Wegen seiner Asylantragstellung habe dem Kläger im Februar 1996 politische Verfolgung gedroht. Auf den Nordirak als inländische Fluchtalternative habe er nicht verwiesen werden können. Dort wäre er zwar vor politischer Verfolgung sicher gewesen, jedoch hätten in diesem Gebiet für den aus dem Zentralirak stammenden Kläger nicht die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative vorgelegen. Die Sachlage habe sich seitdem nicht entscheidungserheblich verändert.

Mit der Revision machen die Beklagte und der Beteiligte geltend, § 73 Abs. 1 AsylVfG rechtfertige den Widerruf auch bei einer nachträglichen Änderung der Erkenntnislage.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Feststellung in Nr. 2 des Widerrufsbescheids, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, aufgehoben; darauf haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt.

II.

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und sind die Entscheidungen der Vorinstanz für unwirksam zu erklären (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Insoweit haben die Revisionen keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Berufungsgericht die Aufhebung des angefochtenen Widerrufsbescheids durch das Verwaltungsgericht bestätigt. Der Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er kann auf keine tragfähige Aufhebungsbestimmung gestützt werden.

Der vom Bundesamt seinem Widerrufsbescheid zugrunde gelegte § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lässt – wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat – den Widerruf einer Anerkennung als politisch Verfolgter, gleich ob sie rechtswidrig oder rechtmäßig gewährt wurde, nur zu, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben (vgl. hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage in der Sache BVerwG 9 C 12.00).

Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht auf der Grundlage von das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine erhebliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse insbesondere im Hinblick darauf verneint, dass der Kläger im Nordirak zwar vor politischer Verfolgung sicher ist, ihm dort aber eine wirtschaftliche Existenzmöglichkeit fehlt. Insoweit erheben die Revisionen keine Einwände. Die Verfahrensrüge der Beklagten, die darauf zielt, dass entgegen der Annahme des Berufungsgerichts schon im Februar 1996 für freiwillig in den Irak zurückkehrende Kurden ohnehin keine Verfolgungsgefahr wegen der Asylantragstellung im Ausland bestanden habe, bleibt ohne Erfolg. Es kann dahinstehen, ob diese Verfahrensrüge den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO entspricht, sie ist jedenfalls nicht begründet. Auf die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hilfsweise unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung kam es nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts letztlich nicht an. Selbst wenn schon im Februar 1996 für freiwillig in den Irak zurückkehrende Kurden keine Verfolgungsgefahr wegen der Asylantragstellung im Ausland bestanden haben sollte, folgte daraus keine die Widerrufsvoraussetzungen schaffende erhebliche nachträgliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Verhältnisse im Irak.

Eine solche Sachlagenänderung war nicht Gegenstand des Beweisantrags und wurde von der Beklagten auch nicht behauptet. Unter dem allenfalls noch denkbaren Gesichtspunkt einer Sachverhaltsänderung durch Zeitablauf musste sich dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung insoweit auch nicht aufdrängen. Hätte dem Kläger schon 1996 wegen seiner Asylantragstellung keine Verfolgung im Irak gedroht, wäre die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG im Anerkennungsbescheid des Bundesamts vom Februar 1996 ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Nordirak von Anfang an rechtswidrig gewesen. Ohne erhebliche Veränderungen der Verhältnisse hätte auch dies den Widerruf nach der Auffassung des Berufungsgerichts nicht rechtfertigen können.

Es ist revisionsgerichtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der – von ihm als wahr unterstellten – vorübergehenden Reise des Klägers in den Nordirak nach der Gewährung von Abschiebungsschutz keine den Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG rechtfertigende Bedeutung beigemessen hat. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass dem Kläger schon im Februar 1996 in dieser Region seines Heimatstaats keine Gefahr politischer Verfolgung drohte. Die dieser Annahme zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nicht angegriffen und damit im Revisionsverfahren bindend. Dann ist aber die weitere nahe liegende Folgerung des Tatsachengerichts nicht zu beanstanden, aus der Reise der Klägers in den Nordirak lasse sich nicht auf einen Widerrufsgrund schließen (vgl. auch hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage in der Sache BVerwG 9 C 12.00).

Der angefochtene Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG kann schließlich auch nicht auf die Aufhebungsbestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechts in §§ 48, 49 VwVfG gestützt oder in eine darauf beruhende Aufhebungsentscheidung umgedeutet (§ 47 VwVfG) werden (zur ergänzenden Anwendbarkeit des § 48 VwVfG im Asylverfahren vgl. erneut das Urteil des Senats in der Sache BVerwG 9 C 12.00). Denn jedenfalls fehlt es hierfür an der sowohl für den Widerruf (§ 49 VwVfG) wie auch für die Rücknahme (§ 48 VwVfG) gebotenen Ermessensausübung des Bundesamts (vgl. § 47 Abs. 3 VwVfG).

Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie den übereinstimmend für erledigt erklärten Teil des Verfahrens über die Feststellung zu § 53 AuslG betrifft, auf § 161 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert folgt aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Hund, Richter, Beck, Dr. Eichberger

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 19.09.2000 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI544000

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