Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Anerkennung von Berufsqualifikationen. In mehreren Mitgliedstaaten erworbene Berufsqualifikationen. Voraussetzungen für den Erwerb. Fehlen eines Ausbildungsnachweises. Arbeitnehmer. Niederlassungsfreiheit

 

Normenkette

Richtlinie 2005/36/EG Art. 1, 10 Buchst. b; AEUV Art. 45, 49

 

Beteiligte

Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija

BB

Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija

 

Tenor

1. Die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in der durch die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 geänderten Fassung, insbesondere ihr Art. 1 und ihr Art. 10 Buchst. b, ist dahin auszulegen, dass sie nicht auf eine Situation Anwendung findet, in der eine Person, die die Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen beantragt, keinen Ausbildungsnachweis erworben hat, der sie im Herkunftsmitgliedstaat dazu qualifiziert, dort einen reglementierten Beruf auszuüben.

2. Die Art. 45 und 49 AEUV sind dahin auszulegen, dass in einer Situation, in der der Betroffene nicht im Besitz des Nachweises über die Berufsqualifikation als Apotheker im Sinne von Anhang V Nr. 5.6.2 der Richtlinie 2005/36 in der durch die Richtlinie 2013/55 geänderten Fassung ist, sondern sowohl im Herkunftsmitgliedstaat als auch im Aufnahmemitgliedstaat berufliche Fähigkeiten in Bezug auf diesen Beruf erworben hat, die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats verpflichtet sind, wenn sie mit einem Antrag auf Anerkennung von Berufsqualifikationen befasst sind, diese Fähigkeiten zu beurteilen und sie mit denjenigen zu vergleichen, die im Aufnahmemitgliedstaat für den Zugang zum Beruf des Apothekers erforderlich sind. Entsprechen diese Fähigkeiten denen, die nach den nationalen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats verlangt sind, so hat dieser sie anzuerkennen. Ergibt diese vergleichende Prüfung nur eine teilweise Entsprechung dieser Fähigkeiten, so kann der Aufnahmemitgliedstaat vom Betroffenen den Nachweis verlangen, dass er die fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden, gegebenenfalls zu beurteilen, ob die im Aufnahmemitgliedstaat insbesondere im Rahmen praktischer Erfahrungen erworbenen Kenntnisse für den Nachweis des Erwerbs der fehlenden Kenntnisse ausreichen. Ergeben sich aus dieser vergleichenden Prüfung wesentliche Unterschiede zwischen der Ausbildung des Antragstellers und der im Aufnahmemitgliedstaat erforderlichen Ausbildung, so können die zuständigen Behörden Ausgleichsmaßnahmen festlegen, um diese Unterschiede zu beseitigen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht von Litauen) mit Entscheidung vom 8. April 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2020, in dem Verfahren

BB

gegen

Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der litauischen Regierung, vertreten durch V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und E. Samoilova als Bevollmächtigte,
  • der norwegischen Regierung, vertreten durch I. Meinich und K. S. Borge als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch L. Armati, A. Steiblytė, S. L. Kalėda und H. Støvlbæk, dann durch L. Armati, A. Steiblytė und S. L. Kalėda, als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 und Art. 10 Buchst. b der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, L 255, S. 22) in der durch die Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 (ABl. 2013, L 354, S. 132) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2005/36), der Art. 45 und 49 AEUV sowie Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BB und dem Lietuvos Respublikos sveikatos apsaugos ministerija (Gesundheitsministerium der Republik Litauen) (im Folgenden: Gesundheitsministerium) wegen dessen Weigerung, die Berufsqualifikation von BB anzuerkennen.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

Art. 1 („Gegenstand”) Abs. 1 der Richtlinie 2005/36 sieht vor:

„Diese Richtlinie...

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