Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Rückkehrentscheidung. Vater eines minderjährigen Kindes, das Unionsbürger ist. Berücksichtigung des Wohls des Kindes bei Erlass der Rückkehrentscheidung

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG Art. 5

 

Beteiligte

Belgischer Staat

M. A

Belgischer Staat

 

Tenor

Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in Verbindung mit Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten vor Erlass einer mit einem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung das Wohl des Kindes gebührend zu berücksichtigen haben, selbst wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um einen Minderjährigen, sondern um dessen Vater handelt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 6. Februar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2020, in dem Verfahren

M. A.

gegen

Belgischer Staat

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von M. A., vertreten durch D. Andrien, avocat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, M. Van Regemorter und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von D. Matray und S. Matray, avocats,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und E. Montaguti als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) in Verbindung mit Art. 13 dieser Richtlinie und den Art. 24 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen einer von M. A. eingelegten Kassationsbeschwerde gegen das Urteil des Conseil du contentieux des étrangers (Rat für Ausländerstreitsachen, Belgien), mit dem seine Klage auf Aufhebung der Bescheide abgewiesen wurde, mit denen ihm eine Anweisung, das belgische Hoheitsgebiet zu verlassen, und ein Einreiseverbot erteilt worden waren.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Art. 3 Abs. 1 des am 20. November 1989 unterzeichneten Übereinkommens über die Rechte des Kindes lautet:

„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.”

Unionsrecht

Rz. 4

Die Erwägungsgründe 22 und 24 der Richtlinie 2008/115 lauten:

„(22) In Übereinstimmung mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 sollten die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Richtlinie insbesondere das ‚Wohl des Kindes’ im Auge behalten. In Übereinstimmung mit der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sollte bei der Umsetzung dieser Richtlinie der Schutz des Familienlebens besonders beachtet werden.

(24) Die Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundsätze, die vor allem in der [Charta] verankert sind.”

Rz. 5

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.”

Rz. 6

Art. 5 der Richtlinie bestimmt:

„Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:

  1. das Wohl des Kindes,
  2. die familiären Bindungen,
  3. den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen …

und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.”

Rz. 7

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.”

Rz. 8

Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Die Mitgliedstaaten verlängern – soweit erforderlich – die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – um einen angemessenen Zeitraum.”

Rz. 9

Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Die betreffenden Drittstaatsangehörigen haben das Recht, bei einer zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbeh...

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