Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Verbraucherkreditverträge. Vertragliche Rechte und Pflichten. Vorzeitige Rückzahlung. Ermäßigung der Gesamtkosten des Verbraucherkredits. Verlust einer Ausfertigung des Vertrags. Recht, vom Kreditgeber eine Zweitausfertigung des Vertrags zu erhalten

 

Normenkette

Richtlinie 2008/48/EG Art. 16 Abs. 1

 

Beteiligte

Z. (Droit d’obtenir un duplicata du contrat de crédit)

Z. sp. z o.o.

A. S.A.

 

Tenor

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates

ist dahin auszulegen, dass

ein Verbraucher im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Richtlinie vom Kreditgeber eine Ausfertigung dieses Vertrags sowie alle Informationen zur Rückzahlung des Kredits fordern kann, die nicht im Vertrag selbst enthalten sind, aber unentbehrlich sind, um zum einen die Berechnung des Betrags zu überprüfen, den der Kreditgeber aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits schuldet, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt, und zum anderen, um es diesem Verbraucher zu ermöglichen, eventuell eine Klage auf Rückzahlung dieses Betrags zu erheben.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-326/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen) mit Entscheidung vom 18. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2022, in dem Verfahren

Z. sp. z o.o.

gegen

A. S.A.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi (Berichterstatter) sowie der Richter I. Jarukaitis und D. Gratsias,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der Z. sp. z o.o., vertreten durch M. Plichta und A. Tomaszewska, Radcowie prawni, sowie O. Wojciechowski,
  • –        der A. S.A., vertreten durch P. Bieżuński, Radca prawny, und K. Staszel, Adwokat,
  • –        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, M. Kozak und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Goddin und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66) im Licht des Effektivitätsgrundsatzes.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Z. sp. z o.o., einer Gesellschaft polnischen Rechts, und der A. S.A., einer Bank (im Folgenden: Bank), wegen eines Antrags auf den Erhalt von Unterlagen und Auskünften zur Beitreibung einer Forderung, die Z. erworben hat, und deren Höhe dem Betrag entspricht, der von der Bank aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits geschuldet wird, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Im 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„Dem Verbraucher sollte gestattet werden, seine Verbindlichkeiten vor Ablauf der im Kreditvertrag vereinbarten Frist zu erfüllen. …“

Rz. 4

Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Verbraucher‘ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

g)      ‚Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher‘ sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird;

m)      ‚dauerhafter Datenträger‘ jedes Medium, das es dem Verbraucher gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine den Zwecken der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht;

…“

Rz. 5

Art. 10 („Zwingende Angaben in Kreditverträgen“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 sieht vor:

„Kreditverträge werden auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erstellt.

Alle Vertragsparteien erhalten eine Ausfertigung des Kred...

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