Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtlinie 89/552/EWG. Fernsehtätigkeit. Möglichkeit eines Mitgliedstaats, in seinem Hoheitsgebiet die Tätigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Fernsehveranstalters zu verbieten. Begründung mit einem Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung

 

Beteiligte

Mesopotamia Broadcast

Mesopotamia Broadcast A/S METV

ROJ TV A/S

Bundesrepublik Deutschland

 

Tenor

Art. 22a der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit in der durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Umstände wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter eine Vorschrift des nationalen Rechts fallen, nach der Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung verboten sind, als vom Begriff der Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität umfasst anzusehen sind. Dieser Artikel verwehrt es einem Mitgliedstaat nicht, in Anwendung allgemeiner Rechtsvorschriften wie dem Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 in der durch Art. 6 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 geänderten Fassung Maßnahmen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Fernsehveranstalter mit der Begründung zu treffen, dass die Tätigkeiten und die Ziele dieses Veranstalters dem Verbot des Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlaufen, sofern die genannten Maßnahmen nicht die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von Fernsehsendungen, die dieser Veranstalter von dem anderen Mitgliedstaat aus ausstrahlt, im Hoheitsgebiet des Empfangsmitgliedstaats verhindern; dies hat das nationale Gericht zu prüfen.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 24. Februar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2010, in den Verfahren

Mesopotamia Broadcast A/S METV (C-244/10),

Roj TV A/S (C-245/10)

gegen

Bundesrepublik Deutschland

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Mesopotamia Broadcast A/S METV und der Roj TV A/S, vertreten durch Rechtsanwalt R. Marx,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und S. Menez als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Vrignon, S. La Pergola und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Mai 2011

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298, S. 23) in der durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl. L 202, S. 60) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie).

Rz. 2

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Mesopotamia Broadcast A/S METV (im Folgenden: Mesopotamia Broadcast) und der Roj TV A/S (im Folgenden: Roj TV), zwei dänischen Gesellschaften, einerseits sowie der Bundesrepublik Deutschland andererseits wegen einer auf ein Tätigkeitsverbot gerichteten Verfügung, die aufgrund der Art der von diesen Gesellschaften produzierten Fernsehsendungen ergangen ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In Art. 1 Buchst. b der Richtlinie ist „Fernsehveranstalter” definiert als „die natürliche oder juristische Person, die die redaktionelle Verantwortung für die Zusammensetzung von Fernsehprogrammen … trägt und die diese Fernsehprogramme sendet oder von Dritten senden lässt”.

Rz. 4

Art. 2 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, dass alle Fernsehsendungen, die von seiner Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstaltern gesendet werden, den Vorschriften des Rechtssystems entsprechen, die auf für die Allgemeinheit bestimmte Sendungen in diesem Mitgliedstaat anwendbar sind.

(2) Im Sinne dieser Richtlinie unterliegen diejenigen Fernsehveranstalter der Rechtshoheit eines Mitgliedstaats,

– die gemäß Absatz 3 in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind;

(3) Im Sinne dieser Richtlinie gilt ein Fernsehveranstalter in folgenden Fällen als in einem Mitgliedstaat niedergelassen:

  1. Der Fernsehveranstalter hat seine Hauptverwaltung in diesem Mitgliedstaat, und die redaktionellen Entscheidun...

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