Leitsatz (amtlich)

Die Besorgnis der Befangenheit kann begründet sein, wenn ein Richter in seiner früheren Tätigkeit als Beamter der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen eine Partei eines ihm später als Richter zur Verhandlung und Entscheidung übertragenen Zivilprozesses geführt hat und zwischen dem Ermittlungsverfahren und dem späteren Zivilprozess ein Zusammenhang besteht. Die frühere Tätigkeit des Richters in dem die Partei betreffenden Ermittlungsverfahren ist einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 15.11.2006; Aktenzeichen 29 O 330/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 8.12.2006 wird der Beschluss des LG Berlin vom 15.11.2006 - 29 O 330/05 - aufgehoben und die Besorgnis der Befangenheit gegen die Richterin Dr. J. für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Die Parteien, die privat und geschäftlich verbunden waren, streiten über die Pflicht zur Rückzahlung eines Darlehens, welches die Klägerin den Beklagten gewährt haben soll.

In einem parallel geführten Rechtsstreit haben die Parteien über die Rückzahlung eines weiteren Darlehens der Klägerin an die Beklagten gestritten. Die Beklagten haben gegen die Klägerin im Zusammenhang mit beiden Darlehensforderungen Strafanzeige u.a. wegen Betruges zum Nachteil der Beklagten gestellt. Wegen des Sachverhalts zu der zweiten Darlehensforderung, die Gegenstand des Parallelrechtsstreits gewesen ist, hat die Staatsanwaltschaft zum Aktenzeichen 5 Js .../04 ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet. Das Ermittlungsverfahren hat mit der Erhebung einer Anklage gegen die Klägerin geendet, welche zum Aktenzeichen 3 Ds .../06 beim AG T. geführt worden ist.

Wegen des Sachverhalts zu der im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Darlehensforderung hat die Staatsanwaltschaft ein zweites Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin geführt.

Die abgelehnte Richterin Dr. J. ist vor ihrer Tätigkeit als Richterin der ... Zivilkammer bei der Staatsanwaltschaft B./als Staatsanwältin tätig gewesen. In dieser Eigenschaft hat sie in beiden Ermittlungsverfahren die Ermittlungen gegen die Klägerin geleitet und sie hat nach Abschluss der Ermittlungen in dem ersten Ermittlungsverfahren - 5 Js .../04 - Anklage gegen die Klägerin erhoben. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen der hier streitgegenständlichen Darlehensforderung hat sie Zeugenvernehmungen angeordnet, Akten des vorliegenden Rechtsstreits angefordert und ausgewertet, die Ermittlungen sind zum Zeitpunkt ihres Wechsels an das LG noch nicht abgeschlossen gewesen.

Die abgelehnte Richterin hat diesen Sachverhalt im Zivilprozess aktenkundig gemacht, sich dienstlich gem. § 44 Abs. 3 ZPO geäußert und auf die Möglichkeit hingewiesen, von einer Partei wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt zu werden.

Die Klägerin hat ein Befangenheitsgesuch gegen die Richterin Dr. J. gestellt.

In der Zwischenzeit wurde in dem zur Anklage gebrachten Strafverfahren die Hauptverhandlung durchgeführt. Die Klägerin wurde freigesprochen.

Die Kammer hat das Ablehnungsgesuch mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen, weil Richterin Dr. J. in dem Ermittlungsverfahren dem das streitgegenständliche Darlehen zugrunde gelegen hat, nur die Ermittlungen geführt habe, diese aber zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens noch nicht zu Ende geführt worden waren und sich aus ihrer Tätigkeit in dem Parallelverfahren kein bedeutsamer Sachzusammenhang mit dem hiesigen Rechtsstreit ergebe.

II. Die Entscheidung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, die gem. §§ 46 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Ein Richter oder eine Richterin können gem. § 42 ZPO abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob objektive Gründe vorliegen, die, vom Standpunkt der betreffenden Partei aus betrachtet, in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu wecken. Nicht erforderlich ist, dass die Richterin oder der Richter tatsächlich befangen sind, ebenso unerheblich ist, ob sie sich für befangen halten (vgl. Senatsbeschluss vom 29.9.2006 - 15 W 35/05; Stein/Jonas/Bork 22. Aufl. Kommentar zur ZPO § 42 Rz. 2; Vollkommer in Zöller, Kommentar zu ZPO 26. Aufl., § 42 Rz. 9). Anders als in der Strafprozessordnung ist die berufliche Vorbefassung mit dem Streitstoff in der ZPO nicht gesetzlich geregelt, nach § 22 Ziff. 4 StPO sind ein Richter oder eine Richterin von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn sie zuvor in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig geworden sind.

In Rechtsprechung und Lehre besteht vielmehr für das zivilrechtliche Verfahren Einigkeit, dass die Vorbefassung des Richters oder der Richterin mit dem Streitstoff für sich allein nicht ausreichend ist, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen, das gilt auch, wenn es sich um eine sog. atypische Vorbefassung handelt, wenn der Richter oder die Richterin in einer anderen Rolle...

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