Orientierungssatz

Nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben hat ein Schuldner, der sich im Rahmen der Verkehrswertermittlung gem. § 74a ZVG einer sachverständigen Objektbesichtigung in den Weg stellt, das Risiko zu tragen, dass die Wertfeststellung des Sachverständigen mit einem Ungenauigkeitsrisiko behaftet ist. Eine hiernach explizit auf dieses Ungenauigkeitsrisiko gestützte Beschwerde gegen die Festsetzung des Verkehrswerts des Versteigerungsobjekts ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.

 

Verfahrensgang

AG Ludwigsburg (Entscheidung vom 10.01.2012; Aktenzeichen 1 K 50/11)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Verkehrswertfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 10.01.2012 (1 K 50/11) wird als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 10.000,-- EUR

 

Gründe

I.

Die Gläubigerin / Beschwerdegegnerin betreibt die Zwangsversteigerung des im Rubrum bezeichneten Grundbesitzes des Schuldners / Beschwerdeführers, die mit Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg Vollstreckungsgericht - vom 10.03.2011 angeordnet wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 10.01.2012, gegen den sich die sofortige Beschwerde des Schuldners wendet, wurde der Verkehrswert der Versteigerungsobjekte auf insg. 137.000,-- EUR festgesetzt. Diesem Beschluss liegt ein Gutachten des vom Amtsgericht am 25.07.2011 beauftragten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, N.N., zugrunde.

Der Sachverständige hat den im Rubrum bezeichneten Grundbesitz am 25.08.2011 zum Zwecke der Wertfeststellung von außen besichtigt. Eine Innenbesichtigung war dem Sachverständigen nicht möglich, da der Schuldner bei dem o.g. Termin nicht angetroffen wurde, nachdem er bereits zuvor weder auf eine unter dem 01.08.2011 ergangene Terminankündigung für den 10.08.2011 reagiert hatte noch am 10.08.2011 zugegen war. Auch in der Folgezeit bis zur Abfassung seines Gutachtens war dem Sachverständigen keine Terminabsprache mit dem Schuldner möglich. Der Sachverständige berücksichtigte die unterbliebene Innenbesichtigung in Gestalt eines pauschalierten Risikoabschlags i.H.v. 5% bei der Ableitung der marktüblichen Miete.

Das Amtsgericht übersandte dem Schuldner das bei Gericht am 05.09.2011 eingegangene Sachverständigengutachten am 27.09.2011 zum Verbleib und zur Stellungnahme. Inhaltliche Einwendungen wurden vonseiten des Schuldners hierauf weder innerhalb der vom Amtsgericht bestimmten dreiwöchigen Erklärungsfrist noch anderweitig bis zum Erlass des nunmehr angegriffenen Beschlusses vorgebracht. Insbesondere wurde schuldnerseits auch keine Nachholung der unterbliebenen Innenbesichtigung angeboten. Stattdessen erhob der Schuldner mit Telefax-Schreiben vom 23.01.2012 - zunächst ohne nähere Begründung - "Widerspruch" gegen die Verkehrswertfestsetzung, welchem das Amtsgericht unter Auslegung des "Widerspruchs" als sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 24.01.2012 nicht abgeholfen hat. Inhaltlich stützt der Schuldner die Verkehrswertbeschwerde im Wesentlichen auf die unterbliebene Innenbesichtigung der Versteigerungsobjektes durch den Sachverständigen.

Im Beschwerdeverfahren bestand Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Der als gem. §§ 74a Abs. 5 Satz 3 ZVG, 793 ZPO statthafte sofortige Beschwerde auszulegende "Widerspruch" des Schuldners gegen den Verkehrswertfestsetzungsbeschluss bleibt ohne Erfolg. Nachdem der Schuldner dem gerichtlich bestellten Sachverständigen den Zutritt zu den Räumlichkeiten des Versteigerungsobjekts in rechtlich vorwerfbarer Weise versagt hat, dem Sachverständigen ausschließlich deshalb keine Innenbesichtigung möglich war und im Übrigen weder das Gutachten noch der Wertfestsetzungsbeschluss offensichtlich an einem schwerwiegenden Mangel leiden, fehlt der Verkehrswertbeschwerde bereits das Rechtsschutzbedürfnis, weshalb das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen war.

Das Rechtsschutzbedürfnis als Voraussetzung jeder Rechtsverfolgung folgt aus dem Grundsatz, dass die Zivilgerichtsbarkeit dem Einzelnen Schutz nur im Rahmen der Gemeinschaft gewährt und niemand die Gerichte als Teil der Staatsgewalt für unnütze oder gar unlautere Zwecke bemühen darf (OLG Hamm MDR 1986, 858 und GRUR 1991, 336; LG Lüneburg, Beschl. v. 05.07.2007 - 4 T 92/07 - Rn. 4; LG Mühlhausen, Beschl. v. 05.05.2008 - 2 T 94/08 - Rn. 25 f.; AG Stuttgart, Beschl. v. 10.10.1989 - 8 C 7155/89 - alle zitiert nach [...]). Im Rahmen der Zwangsversteigerung ist einem Schuldner unter Beachtung der vorstehend skizzierten rechtsstaatlichen Gesichtspunkte die Verkehrswertbeschwerde zu versagen, wenn er dem gerichtlich bestellten Sachverständigen den Zutritt zu den Räumlichkeiten des Versteigerungsobjektes verweigert hat (vgl. Stöber, ZVG, 19. Aufl. 2009, § 74a Rn. 10.5 m.w.N. in Fußn. 222). Dies muss zumindest dann gelten, wenn der Schuldner keine rechtfertigenden Gründe für seine Verweigerungshaltung vorbringen kann und weder das Gutachten noch der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts offensichtlich an einem schwerwiegenden Ma...

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