Leitsatz (amtlich)

Dem Auftragnehmer steht ein Anspruch aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern wegen fälliger Abschlagszahlungen auch dann noch zu, wenn der Bauvertrag bereits vorzeitig beendet worden ist.

 

Tenor

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 5.2.2004 auf 184.500 Euro und seit dem 6.2.2004 auf bis zu 18.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien haben im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Frage gestritten, ob die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) als Auftragnehmerin berechtigt ist, eine von der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) gestellte Bankbürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin beauftragte die Beklagte gemäß dem VOB/B-Generalunternehmervertrag vom 21.5./18.7.2002 mit dem Umbau und der Renovierung bestimmter Häuser der Seniorenresidenz "..." in ... . Gemäß § 10.1.2. dieses Vertrages verpflichtete sich die Klägerin, der Beklagten bei Baubeginn eine Bürgschaft auf erstes Anfordern i.H.v. 184.500 Euro zu übergeben. In der entsprechenden Bürgschaftsurkunde der ... AG vom 22.8.2002 (Anlage K 2, Bl. 31d. Anlagen Klägerin) verpflichtet sich die Bürgin ggü. der Beklagten zur Zahlung auf erstes Anfordern, sobald die Beklagte mitteilt, "dass der Auftraggeber seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist."

Die Klägerin leistete auf die Abschlagsrechnungen der Beklagten Nr. 14 vom 12.8.2003, Nr. 15 vom 19.8.2003 und Nr. 16 vom 26.8.2003, deren Summe insgesamt die Bürgschaftsforderung übersteigt, keine Zahlungen. Erstmals mit Schreiben vom 1.7.2003 hatte die Beklagte die Klägerin zur Leistung einer Sicherheit gemäß § 648a BGB bis zum 10.7.2003 unter Androhung der Arbeitseinstellung aufgefordert. Da auch in der Folgezeit angeforderte Abschlagszahlungen nicht erfolgten, hat die Beklagte mit Schreiben vom 29.8.2003 von ihrem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und mit Schreiben vom 1.9.2003 eine Nachfrist zur Stellung der Sicherheit bis zum 3.9.2003, 18:00 Uhr, unter Hinweis auf die vorzeitige Beendigung des Vertrages gesetzt.

Mit Fax vom 3.9.2003, das am selben Tage um 17:30 Uhr bei der Beklagten eingegangen ist, hat die Klägerin den Bauvertrag fristlos mit sofortiger Wirkung gekündigt.

Mit Schreiben vom 30.9.2003 hat die Beklagte die .... AG zunächst vergeblich zur Zahlung der Bürgschaftssumme wegen der ausstehenden Zahlungen aufgefordert.

In der mündlichen Verhandlung vor dem LG Braunschweig am 3.11.2003 hat die Beklagte der Klägerin die Schlussrechnung vom 31.10.2003 überreicht.

Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Beklagten einstweilig untersagt werden sollte, die Bürgschaft der ... AG vom 22.8.2002 in Anspruch zu nehmen, zurückgewiesen, weil ein Rechtsmissbrauch nicht dargetan worden sei.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgerecht die Berufung eingelegt und begründet. Sie hat weiterhin die Auffassung vertreten, eine Inanspruchnahme der Bürgschaft sei rechtsmissbräuchlich, weil nach - nunmehr unstreitiger - vorzeitiger Beendigung des Bauvertrages ein Anspruch auf Abschlagszahlungen erloschen und die Werklohnforderung aus der Schlussrechnung noch nicht fällig sei. Zudem sei erst die am 17.12.2003 bei ihr eingegangene komplett geänderte Schlussrechnung der Beklagten prüffähig gewesen.

Am 22.1.2004 hat die ... AG die Bürgschaftssumme an die Beklagte ausgezahlt. Daraufhin haben beide Parteien das einstweilige Verfügungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt.

II. Gemäß § 91a Abs. 1 BGB hat der Senat nunmehr über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach waren die Kosten beider Instanzen der Klägerin aufzuerlegen, weil sie einen Anspruch auf Erlass der begehrten Entscheidung nicht dargetan hat.

Der geltend gemachte Verfügungsanspruch auf Unterlassung der Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn klar auf der Hand liegt, dass der Gläubiger eine ihm eingeräumte formale Rechtsstellung missbraucht, § 242 BGB. Ein solches rechtsmissbräuchliches Vorgehen muss sich der Gläubiger, der vereinbarungsgemäß seine materielle Berechtigung weder darzulegen noch zu beweisen hat, nur dann entgegenhalten lassen, wenn offensichtlich oder liquide für jedermann beweisbar ist, dass trotz Vorliegens der formalen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist, also nur eine formale Rechtsstellung missbräuchlich ausgenutzt wird (BGH v. 17.10.1996 - IX ZR 325/95, MDR 1997, 229 = NJW 1997, 255 [256]; v. 12.3.1984 - II ZR 198/82, MDR 1984, 735 = NJW 1984, 2030 [2031]). Voraussetzung für den Missbrauchseinwand ist mithin, dass das Nichtbestehen der Hauptforderung aufgrund des Sach und Streitstandes für jedermann klar erkennbar ist, also auf der Hand liegt oder mit liquiden Beweismitteln belegbar ist. Daran fehlt es hier.

1. Der Sinn und Zweck einer...

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