Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine "Demnächst-Zustellung" bei durch Übersetzung der Klageschrift verzögerter Zustellung in EU-Mitgliedsstaat

 

Leitsatz (amtlich)

Weil Art. 5 Abs. 1 EuZVO dem Antragsteller freistellt, ob dem zuzustellenden Schriftstück eine Übersetzung beigefügt wird, hat der Kläger nicht alles Zumutbare für eine Zustellung der Klageschrift "demnächst" nach Ablauf der Verjährungsfrist getan, wenn er bei notwendiger Zustellung der Klageschrift in einem EU-Mitgliedsstaat (hier: Frankreich) keine Übersetzung beifügt, auf Nachfragen des Gerichts aber auf einer Übersetzung besteht, und die Klage deshalb erst ein Jahr nach Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt werden kann.

 

Normenkette

EuZVO Art. 5, 8; ZPO §§ 167, 183

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 16.08.2017; Aktenzeichen 9 O 303/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 25.02.2021; Aktenzeichen IX ZR 156/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16.8.2017 verkündete Urteil des Landgerichts Darmstadt abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf 62.487,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A AG (Insolvenzschuldnerin) einen Rückerstattungsanspruch wegen Insolvenzanfechtung geltend.

Die Insolvenzschuldnerin ist - wie es in der Berufung unstreitig geworden ist - die Alleingesellschafterin der B GmbH (künftig nur: B GmbH), über deren Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, und zwar am selben Tag wie das der Insolvenzschuldnerin. In der Berufung weiterhin unstreitig geworden ist, dass außerdem drei Tage vor den streitgegenständlichen Zahlungen ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen beiden Gesellschaften geschlossen wurde.

Der Kläger behauptet, die Insolvenzschuldnerin habe am 21.7.2011 zwei Zahlungen in Höhe von insgesamt 62.486,11 EUR auf das Geschäftskonto der Beklagten geleistet. Es habe sich dabei um eine Leistung auf eine Forderung der Beklagten gegen die B GmbH gehandelt. Diese Forderung sei wertlos gewesen, weil die B GmbH bereits am 26.3.2011 zahlungsunfähig gewesen sei.

Mit der Klage verlangt der Kläger Rückerstattung der behaupteten Zahlungen mit der Begründung, diese seien gemäß §§ 129 Abs. 1, 134 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO anfechtbar.

Die Klage ist am 15.12.2015 beim Landgericht eingegangen. Unter dem 15.1.2016 hat das Landgericht angefragt, ob die Klageschrift übersetzt werden soll, da sie in Frankreich zuzustellen ist. Dies hat der Kläger noch am selben Tag bejaht und den hierfür erforderlichen Vorschuss eingezahlt. In der Folgezeit hat das Landgericht zunächst keine Übersetzerin gefunden. Letztlich ging erst am 24.10.2016 eine Übersetzung der Klageschrift bei Gericht ein und die Klage wurde der Beklagten am 9.12.2016 - also fast ein Jahr nach ihrer Einreichung - zugestellt (Bl. 79 d.A.).

Wegen des Sachverhalts im Weiteren und des (weiteren) streitigen Vortrags der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, mit dem das Landgericht der Klage stattgegeben hat. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt:

Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 62.486,11 EUR aus §§ 143, 134, 129 InsO. Die Klageforderung sei auch nicht verjährt. Die Klage sei noch vor Ablauf der Verjährungsfrist (31.12.2015) eingegangen. Die erst am 9.12.2016 erfolgte Zustellung sei noch demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt, da die Verzögerung nicht durch den Kläger verursacht worden sei, sondern durch den Geschäftsbetrieb des Gerichts. Insoweit seien auch Zustellungen nach mehreren Monaten noch als "demnächst" anzusehen. Die Übersetzung der Klageschrift sei auch erforderlich gewesen. Entgegen der Auffassung der Beklagten lasse die maßgebliche Vorschrift EG-VO Nr. 1393/2007 (= EuZVO) nicht darauf schließen, dass es sich hierbei nur um eine Obliegenheit des Klägers handele (wird weiter ausgeführt).

Wegen der Urteilsbegründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte trägt vor:

Ein etwaiger Anspruch des Klägers sei eindeutig verjährt, da die Klage zwar im Dezember 2015 beim Landgericht eingereicht, jedoch erst im Dezember 2016 zugestellt worden sei. Die Verzögerung habe der Kläger zu vertreten, da er zunächst eine Klageschrift ohne Übersetzung eingereicht habe, sich dann aber nach Ablauf der Verjährung doch für eine Zustellung mit Übersetzung entschieden, sich aber nicht um die Übersetzung gekümmert habe.

Darüber h...

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