Leitsatz (amtlich)

1. Eine Grunddienstbarkeit, die einen Fernblick zum Inhalt hat (Aussichtsgerechtigkeit), entfällt dann nicht, wenn der Fernblick zwar aufgrund von Bebauungen und Bepflanzungen derzeit nicht vorhanden ist, aber nicht feststeht, dass die den Blick einschränkenden Umstände den Fernblick dauernd unmöglich machen.

2. Eine Verwirkung der Aussichtsgerechtigkeit liegt nicht vor, sofern der Berechtigte die Errichtung einer Garagenecke und die Vornahme von Bepflanzungen innerhalb der Aussichtsgerechtigkeit in der Vergangenheit hingenommen, sich jedoch von Anfang an gegen die Neuerrichtung einer Gebäudeecke mit Dachüberstand in dem geschützten Sichtstreifen gewandt hat.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 1018

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 328 O 409/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 28, vom 18.12.2001 (Az. 328 O 409/00) wird zurückgewiesen, wobei der Tenor in der Hauptsache zur Klarstellung wie folgt gefasst wird:

Die Beklagte wird verurteilt, auf ihrem Grundstück B.-straße in H.-B. die südöstliche gemauerte Gebäudeecke mit einem Dreieck von 1,04 m × 0,28 m × 1,08 m und die Außenkante der Dachrinne mit einem Dreieck von 5,99 m × 1,61 m × 6,21 m zu entfernen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenientin, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger fordern von der Beklagten Beseitigung von Baulichkeiten wegen Verletzung einer Aussichtsgerechtigkeit.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks S.-straße 14, Parzelle 568 (ehemals 1282/23 und 1280/23) in H.-B. Zugunsten u.a. der Parzelle 1282/23 besteht eine Aussichtsgerechtigkeit zu Lasten der nördlich des Grundstücks der Kläger liegenden Grundstücke, die u.a. die Parzelle 533 (ehemals 1274/23) des Grundstücks der Beklagten in der B.-straße belastet (vgl. Anlage K 8).

In der Grunddienstbarkeit vom 25.9.1936 (Anlage B 1) heißt es:

„Die Aussicht über den Geländestreifen der Parzellen … gross zusammen 209 qm in dem jetzt bestehenden Umfange (Schneise) ist frei zu halten dergestalt, dass der Fernblick in keiner Weise weder durch Baulichkeiten noch durch die bestehenden oder etwaigen Anpflanzungen behindert werden darf, …”

Die Beklagte wurde am 23.2.2000 als Eigentümerin des Grundstücks B.-Straße im Grundbuch eingetragen.

Im Januar 2000 hatte die Voreigentümerin Frau N. beim AG H.-B. die Löschung der Grunddienstbarkeit beantragt. Die Kläger widersprachen dem und teilten Frau N. Ende März 2000 telefonisch sowie am 4.4.2000 durch ihren Prozessbevollmächtigten mit, dass sie Wert auf den Fortbestand der Aussichtsgerechtigkeit legten und diese auch insb. gegen jegliche bauliche Beeinträchtigung verteidigen würden.

Mit Beschluss vom 9.5.2000 stellte das Grundbuchamt die Gegenstandslosigkeit der Aussichtsgerechtigkeit fest. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger vom 19.5.2000 hob das LG Hamburg am 20.9.2000 den Beschluss des Grundbuchamtes auf (321 T 80/00).

Im Mai 2000 begann die Beklagte auf ihrem Grundstück einen Neubau durch das Bauunternehmen P. zu errichten. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 19.5.2000 an die Fa. P. (Anlage K 2) wiesen sie darauf hin, dass sie alles unternehmen würden, um eine Beeinträchtigung der Aussichtsgerechtigkeit zu verhindern. Nachdem die Firma P. mitgeteilt hatte, sie sei weder Eigentümer noch bauausführendes Unternehmen (Anlage K 3), ermittelten die Kläger u.a. die Beklagte als Eigentümerin und ließen sie durch ihren Prozessbevollmächtigten unter dem 14.6.2000 anschreiben. Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 13.10.2000 (Anlage K 5) wurde die Beklagte aufgefordert mitzuteilen, auf welche Weise ihr durch die zwischenzeitliche Bebauung beeinträchtigtes Recht wiederhergestellt werden könne. Die Beklagte antwortete, sie sehe keinen Anlass, auf die Forderungen der Kläger einzugehen (Anlage K 6).

Die Kläger haben vorgetragen, der Neubau der Beklagten rage mit seiner südöstlichen Ecke in die Parzelle 533 hinein und behindere die Aussicht.

Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, auf ihrem Grundstück B.-straße 40 in H.-B. die oberirdischen Baulichkeiten zu entfernen, soweit sich diese auf der Parzelle 533 befinden.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Grundlage für die Grunddienstbarkeit sei durch Aufteilung der zwei großen Grundstücke an der S.-straße in der Nachkriegszeit, zugunsten derer die Aussichtsgerechtigkeit eingetragen worden sei, entfallen. Außerdem sei die Aussichtsgerechtigkeit durch die tatsächliche Entwicklung der Umgebung obsolet geworden. Seit teilweise mehr als dreißig Jahren verhinderten Anpflanzungen (über zehn Meter hohe Koniferen) und auch Anbauten auf anderen Grundstücken eine Aussicht. Da das Aussichtsrecht seit mehr als dreißig Jahren nicht ausgeübt und geltend gemacht worden sei, sei der Anspruch der Kläger verwirkt. Auch sei durch...

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