Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsbefreiung nach § 607 Abs. 2 S. 1 HGB wegen nautischen Verschuldens

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Haftungsbefreiung nach § 607 Abs. 2 S. 1 HGB wegen nautischen Verschuldens erfasst auch Verhaltensweisen, die nicht unmittelbar auf ein Tätigwerden zurückzuführen sind (z.B. das Nichteinschalten eines Wach-Alarms und das Nichtaufwachen eines Wachoffiziers). Derartige „Verhaltensweisen” haben ebenso Auswirkungen auf den Betrieb des Schiffes wie das Unterlassen einer Kurskorrektur oder das Nichtablesen von Kompass oder Radargerät.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 07.09.2000; Aktenzeichen 413 O 67/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 26.10.2006; Aktenzeichen I ZR 20/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten zu 1) und 2) wird das Grundurteil des LG Hamburg, Kammer 13 für Handelssachen, vom 7.9.2000 (Az. 413 O 67/00) abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten zu 1) und 2) gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % der jeweils zu vollstreckenden Kosten abzuwenden, sofern nicht die Beklagten zu 1) und 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte zu 1) war Zeit-Charterer des MS „CITA”, eines im Jahre 1977 in Deutschland gebauten Frachtschiffes, das sie für einen von ihr betriebenen Feeder-Service auf der Route Rotterdam, Southhampton, Belfast und Dublin einsetzte.

Reeder dieses in Antigua & Barbuda registrierten Schiffes war die Firma M. Shipping Company Ltd. mit Sitz St. John's, A., Vertragesreederei die Reederei D. in H./T.

Am 26.3.1997 strandete die MS „CITA” vor den Isles of Scilly und sank.

Die Beklagte zu 1) hat das Schifffahrtsrechtliche Verteilungsverfahren (Az. 64 SRV 1/98 AG Hamburg) angestrengt, dessen Sachwalter der Beklagte zu 2) ist.

Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1) aus abgetretenem Recht der Ladungseigentümerin von 7 mit Tabakwaren beladenen Containern (insgesamt 614 Packstücken), in das Schiff übernommen am 24.3.1997 in S., und aus dem Recht der Firma L., im Konnossement (Anlage K 1) als Shipper aufgeführt, sowie der Firma CD International, im Konnossement als Consignee aufgeführt, in Anspruch.

Der Untergang des Schiffes in den frühen Morgenstunden des 26.3.1997 beruhte darauf, dass der erste Offizier X., der allein Wache hielt, eine Kursänderung vornahm und im Anschluss daran gegen 1.00 Uhr einschlief. Als er erwachte, war das Schiff bereits auf Grund gelaufen.

Das Schiff war mit einem funktionierenden Watch-Alarm ausgerüstet, dessen Zweck es ist, sicherzustellen, dass der Wachhabende nicht einschläft.

Nicht nur auf der maßgeblichen Unglücksreise, sondern auch davor, war der Watch-Alarm nach dem Vortrag der Klägerin grundsätzlich ausgeschaltet.

Die Mannschaft des MS „CITA” bestand aus dem polnischen Kapitän Y., dem ersten Offizier X., dem leitenden Ingenieur, drei Mann Decksbesatzung, einem Maschinisten und einem Koch. Sie waren nicht Angestellte der Eignerin oder des Vertragsreeders, sondern von einer Personalagentur in W. gestellt. Die Parteien streiten insoweit darüber, ob der erste Offizier X. ein ausreichendes Patent besaß, um auf diesem Schiff als erster Offizier zu fahren.

Die Klägerin hat nach Eröffnung des Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens am 27.8.1998, 10.00 Uhr, am 30.3.1999 einen Schadensersatzanspruch angemeldet (insgesamt erfolgte eine Anmeldung von mehr als 90 Forderungen über einen Gesamtbetrag von mehr als 24 Mio. DM) und die Klage gegen den Beklagten zu 2) als Sachwalter erweitert.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 1) hafte sowohl nach § 559 HGB wegen anfänglicher See- und Ladungsuntüchtigkeit im Hinblick auf nicht ausreichende Bemannung. Das Patent des Offiziers X. sei nicht genügend gewesen, denn X. habe nach dem polnischen Zertifikat nur als zweiter Decksoffizier tätig sein dürfen (Anl. B 5). Das Safe Manning Certificate aus A. und B. vom 24.9.1996 (Anl. B 3) sei zum Nachweis ausreichender Bemannung nicht geeignet.

Das Certificate of Competency datiere erst vom 18.11.1996 und könne angesichts eines nur wenige Monate zuvor ausgestellten polnischen Zertifikats (ausgestellt für Schiffe bis 1.600 t) nicht für ein Schiff von der Größe des MS „CITA” (3.083 t) gelten.

Im Übrigen beweise das Verhalten des X., dass das Schiff nicht seetüchtig gewesen sei. Das Verhalten des X. mache deutlich, dass er nicht zur ordnungsgemäßen Führung des Schiffes in der Lage gewesen sei, weil er ohne Watch-Alarm und ohne Ausguck gefahren sei. In englischen Hoheitsgewässern hätten auch fremdflaggige Schiffe in Anwendung der Vorschriften der STCW Convention 1978 nachts zusätzlich mit einem Ausguck fahren müssen. Die Klägerin hat insoweit auf den Bericht des englischen Seeamtes – Marine Accident Investigation Branch (MAIB) – vom 11.6.1998 (Anl. K 11) verwiesen.

Die Haftung der Beklagten zu 1) ergebe sich auch aus §...

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