Entscheidungsstichwort (Thema)

Rügepräklusion bei Unterlassen. Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei dem unterbliebenen Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge nach § 171 b Abs. 3 S. 2 GVG handelt es sich um ein Unterlassen, welches nicht mit dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 Stopp beanstandet werden muss.

2. Der Angeklagte kann sich auf eine Verletzung des § 171 b Abs. 3 S. 2 GVG auch dann berufen, wenn der Ausschluss der Öffentlichkeit nicht auf seinen Antrag hin, sondern auf Antrag eines anderen Verfahrensbeteiligten (hier der Nebenklägerin) erfolgte.

 

Normenkette

GVG § 171b Abs. 1, 3 S. 2, Abs. 5; StPO § 238 Abs. 2, §§ 333, 337

 

Tenor

  1. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Dorsten sprach den Angeklagten mit Urteil vom 15. November 2017 (7 Ls 41/17) aus tatsächlichen Gründen vom Tatvorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin frei.

Auf die Berufung der Nebenklägerin änderte die XXVII. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen das erstinstanzliche Erkenntnis mit Urteil vom 10. April 2018 (67 Ns 1/18) dahingehend ab, dass der Angeklagte wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision, eingelegt mit Telefax-Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt Q in I vom 12. April 2018.

Mit Telefax-Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt Dr. S in I2 vom 19. Juni 2018 begründet der Angeklagte die Revision unter näherer Darlegung mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt,

das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

In formeller Hinsicht rügt der Angeklagte zunächst den unterbliebenen Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge nach § 171b Abs. 3 S. 2 GVG und mithin eine unzulässige Erweiterung der Öffentlichkeit.

Dieser Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Auf Antrag der Nebenklagevertreterin vom 10. April 2018 (vgl. Anlage I zum Hauptverhandlungsprotokoll vom 10. April 2018) schloss die Kammer die Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 GVG für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin mit Beschluss vom selben Tag (vgl. Anlage II zum Hauptverhandlungsprotokoll vom 10. April 2018) aus. Zur Begründung führte sie aus, bei der zeugenschaftlichen Vernehmung der Nebenklägerin würden Umstände aus ihrem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung ihre schutzwürdigen Interessen verletze. Der Beschluss wurde ausgeführt; vor der Entscheidung über die Vereidigung und die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin wurde die Öffentlichkeit wieder hergestellt. Ein erneuter Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Schlussvorträge (§ 171b Abs. 3 S. 2 GVG) erfolgte nicht.

Infolge dieses unterbliebenen Ausschlusses - so die Revisionsbegründung - und der damit einhergehenden Anwesenheit von Öffentlichkeit während der Schlussvorträge - hierunter ein Vertreter der örtlichen E-er Presse sowie der Ehemann der Nebenklägerin -, habe sich der Angeklagte nicht in der Lage gesehen, in seinem letzten Wort auf intime Details der in nicht öffentlicher Verhandlung gemachten Aussage der Nebenklägerin einzugehen, obschon er dies gewollt habe. Er habe sich über den der Nebenklägerin mit dem Öffentlichkeitsausschluss während ihrer Vernehmung gewährten Schutz ihrer Intimsphäre nicht hinwegsetzen und sie weiteren Belastungen aussetzen wollen. Letztlich habe er es aus Resignation unterlassen zu äußern, dass er weitere Ausführungen habe machen wollen und sich schließlich wesentlich den Ausführungen seines Verteidigers angeschlossen. Wäre die Öffentlichkeit für die Dauer der Schlussvorträge ausgeschlossen worden, hätte er weitere, in der Revisionsbegründungsschrift im Einzelnen dargelegte Angaben gemacht.

Dieser Verstoß gegen die zwingende Vorschrift des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG begründe einen revisiblen Verfahrensfehler, auf den sich auch der Angeklagte berufen könne. Zusammengefasst sei eine Differenzierung zwischen den einzelnen Verfahrensbeteiligten bei einer Verletzung des § 171b Abs. 3 S. 2 GVG nicht vorzunehmen, so dass es unschädlich sei, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Vernehmung der Nebenklägerin allein auf deren Antrag hin erfolgt sei.

Des Weiteren habe das Gericht seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) verletzt, indem es unterlassen habe, den bei den Akten befindlichen Whats-App-Chatverlauf zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin insgesamt in die Hauptverhandlung einzuführen. Die Beweiswürdigung sei lückenhaft, da eine Würdigung der Alkohol...

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