Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den nichtehelichen Vater

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach der Übergangsregelung des BVerfG vom 21.07.2010 (1 BvR 420/09) ist dem Vater eines nichtehelichen Kindes die elterliche Sorge zu übertragen, wenn eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

2. Ein Elternteil, das seine Elternfunktion praktisch durch Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie verdrängt, ist regelmäßig ungeeignet.

3. Der Staat ist verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Zusammenführung eines Elternteils mit seinem Kind zu ergreifen. Die Risikogrenze wird erst dann überschritten, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Trennung des Kindes von den Pflegeeltern psychische oder physische Schädigungen nach sich ziehen kann.

4. Ein schonender Wechsel des Kindes in den elterlichen Haushalt kann durch eine befristete Verbleibensanordnung sowie eine schrittweise Ausweitung des Umgangs sichergestellt werden.

 

Normenkette

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2, § 1672 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2; MRK Art. 8

 

Verfahrensgang

AG Überlingen (Beschluss vom 24.05.2011; Aktenzeichen 2 F 335/10 und 2 F 317/10)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des AG - Familiengericht - Überlingen vom 24.5.2011 (2 F 335/10 und 2 F 317/10) aufgehoben.

2. Dem Antragsteller wird das alleinige Sorgerecht für das Kind S. B., geboren 2007, übertragen.

3. Es wird angeordnet, dass das Kind S. B. bis 31.8.2012 in der Familie der Pflegeeltern P. verbleibt.

Im Übrigen wird der Antrag der Pflegeeltern auf Erlass einer Verbleibensanordnung zurückgewiesen.

4. Der Antragsteller ist berechtigt und verpflichtet, das Umgangsrecht mit dem Kind S. wie folgt auszuüben:

a) ab 24.3.2012 jeden Samstag von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr und jeden Sonntag von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr,

b) ab 5.5.2012 jeweils von Samstag 10.00 Uhr bis Sonntag 16.00 Uhr,

c) zusätzlich in den Pfingstferien von Freitag, 1.6.2012, 16.00 Uhr bis Sonntag, 3.6.2012, 16.00 Uhr und von Mittwoch, 6.6.2012, 16.00 Uhr bis Sonntag, 10.6.2012, 16.00 Uhr,

e) ab 15.6.2012 jeweils von Freitag 16.00 Uhr bis Sonntag 16.00 Uhr,

f) ab 5.7.2012 jeweils von Donnerstag 16.00 Uhr bis Sonntag 16.00 Uhr,

g) zusätzlich in den Sommerferien von Donnerstag, 9.8.2012, 16.00 Uhr bis Sonntag, 19.8.2012, 16.00 Uhr.

Der Antragsteller holt das Kind bei den Pflegeeltern in der ... in S. ab und bringt es zum Ende des Umgangs wieder dorthin zurück. Die Pflegeeltern halten S. zur Abholung bereits und nehmen ihn nach dem Umgang wieder in Empfang.

Die Beteiligten werden darauf hingewiesen, dass das Gericht bei der Zuwiderhandlung gegen diese Anordnung gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld von bis zu 25.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen kann. Verspricht die Anordnung eines Ordnungsgelds keinen Erfolg, kann das Gericht Ordnungshaft anordnen.

5. Gerichtskosten werden für beide Instanzen nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten beider Instanzen werden nicht erstattet.

6. Der Verfahrenswert wird für beide Instanzen auf jeweils 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Antragsteller begehrt das alleinige - hilfsweise das gemeinsame - Sorgerecht für seinen 2007 geborenen Sohn S. B., der seit seiner Geburt mit Einverständnis der allein sorgeberechtigten Mutter bei Pflegeeltern lebt. Außerdem begehrt er eine Ausweitung des Umgangs mit seinem Sohn.

I. S. ist das gemeinsame Kind des Antragstellers und der Antragsgegnerin. Beide waren und sind nicht miteinander verheiratet. Gemeinsame Sorgeerklärungen wurden nicht abgegeben.

Der Vater wurde 1970 in M. geboren. Er ist gelernter Kfz-Mechaniker. Seit 2011 ist er verheiratet. Seine Frau ist Sonderschulpädagogin und hat eine 3-jährige Tochter K.. Die Familie lebt seit Anfang 2011 in L..

Die Mutter wurde 1977 in H. geboren und lebt in M. Sie ist gelernte Köchin. Seit September 2011 bis voraussichtlich März 2012 absolviert sie eine Wiedereingliederungsmaßnahme des Arbeitsamtes. Die Mutter stand vom 30.8.2002 bis 17.11.2011 unter Betreuung, da sie aufgrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung bzw. einer Störung mit Borderlinestruktur nicht in der Lage war, ihren Alltag zu organisieren und Verantwortung für sich und ihre Kinder zu übernehmen. Mit Beschluss vom 17.11.2011 wurde die Betreuung auf Anregung der Betreuerin vom 5.11.2011 und Vorlage eines ärztlichen Attests aufgehoben, da die Betroffene ihre Angelegenheiten zwischenzeitlich selbständig regeln und sich Hilfe selbst organisieren könne. Die Mutter selbst sieht aktuell keine Möglichkeit, S. bei sich aufwachsen zu lassen, und nimmt auch den Umgang mit ihm in sehr geringem Umfang wahr. Auch die beiden vor S. geborenen Kinder der Mutter leben nicht bei ihr.

Das erste Kind der Mutter, T., wurde 1999 geboren. Vom Vater dieses Kindes trennte sie sich bereits während der Schwangerschaft. Das Kind ist geistig behindert und...

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