Entscheidungsstichwort (Thema)

Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen bei Aggressionsdurchbrüchen und Gefährdung Dritter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das zeitweise Einschließen eines Betroffenen in seinem Zimmer ist bei Aggressionsdurchbrüchen genehmigungsfähig.

2. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind auch dann genehmigungsfähig, wenn der Betroffene durch sein Verhalten in erster Linie Dritte gefährdet, sofern damit zugleich die Gefahr verbunden ist, dass der Betroffene selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden erleidet. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene sich die gesundheitlichen Schäden eigenhändig zufügt. Welches Ausmaß der drohende gesundheitliche Schaden erreichen muss, um als erheblich angesehen werden zu können, richtet sich auch danach, wie stark die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen konkret in die Rechte des Betroffenen eingreifen.

 

Normenkette

BGB § 1906 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Offenburg (Beschluss vom 23.05.2008; Aktenzeichen 4 T 87/08)

 

Tenor

1. Die weitere sofortige Beschwerde des Verfahrenspflegers gegen den Beschluss des LG Offenburg vom 23.5.2008 wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

3. Der Gegenstandswert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Betroffene steht seit 1998 unter Betreuung, die seit 2003 bzw. 2004 auch die Aufgabenbereiche Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen umfasst. Aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung besteht eine schwere Intelligenzminderung mit rezidivierenden Aggressionsdurchbrüchen. Der Betroffene lebt seit 6.4.2001 in den Werkstätten für Behinderte. Er verfügt über ein Einzelzimmer. Der Betroffene ist verhaltensauffällig. Es kommt öfters zu Aggressionsdurchbrüchen, die zum Teil zu Sachbeschädigungen oder Tätlichkeiten ggü. anderen Mitbewohnern führen. Phasenweise wird der Betroffene völlig unberechenbar und sehr aggressiv. Der Betroffene zieht dann andere Mitbewohner kräftig an den Kleidern oder Haaren; regelmäßig sucht er sich dabei schwächere Mitbewohner aus, die sich nicht wehren können. Zum Teil setzen sich Mitbewohner aber zur Wehr. Insbesondere leben in der Gruppe des Betroffenen mehrere Bewohner, bei denen ebenfalls Fremdgefährdungspotential vorliegt. Bislang hat jeweils das Betreuungspersonal eingegriffen und den Betroffenen beruhigt. Sofern dies nicht möglich war, ist der Betroffene in sein Zimmer verbracht worden und dort erforderlichenfalls kurzfristig eingeschlossen worden. Zudem wurden ihm - wenn möglich - Psychopharmaka verabreicht. Öfters ist der Betroffene aber auch vom Notarzt in das Zentrum für Psychiatrie stationär eingewiesen worden; um den Betroffenen dorthin zu verbringen, wurde notfalls die Polizei herangezogen.

Nachdem das AG - VormG - Lahr das zeitweilige Einschließen des Betroffenen für die Fälle, in denen der Betroffene ggü. Mitbewohnern aggressiv werde, mit Beschluss vom 15.9.2004 genehmigt hatte, beantragte der Betreuer im Rahmen der Entscheidung über die Verlängerung der Betreuung am 19.3.2008 erneut, das zeitweise Einschließen des Betroffenen in seinem Zimmer zu genehmigen. Das AG - VormG - Lahr hat dem Betroffenen daraufhin einen Verfahrenspfleger bestellt und ein ergänzendes ärztliches Zeugnis eingeholt, ob die freiheitsentziehenden Maßnahmen fortzusetzen und das zeitweise Einschließen des Betroffenen notwendig seien. Nach Anhörung des Betroffenen hat das AG Lahr mit Beschluss vom 25.4.2008 im Wege der einstweiligen Anordnung das zeitweise Einschließen des Betroffenen in seinem Zimmer bei Aggressionsdurchbrüchen bis längstens zum 6.6.2008 vorläufig genehmigt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Verfahrenspflegers hat das LG Offenburg mit Beschluss vom 23.5.2008 zurückgewiesen. Das LG hat festgestellt, dass der Betroffene aufgrund seiner geistigen Behinderung zu Aggressionsdurchbrüchen neige, während derer er völlig unkontrolliert sei, anhaltend herumschreie und Mitbewohner angreife. Zwar sei es bislang überwiegend zu rein fremdschädigenden Handlungen gekommen. Jedoch bestehe die Gefahr, dass Mitbewohner, bei denen ebenfalls Fremdgefährdungspotential vorliege, die Attacken des Betroffenen nicht ohne Gegenwehr hinnehmen würden. In der Vergangenheit sei es bereits mehrfach zu Rauferein mit dem Mitbewohner B. gekommen, der sich in der Regel zur Wehr setze. Der Mitbewohner H. habe zweimal zurückgeschlagen. Der Mitbewohner M. habe sich gewehrt und den Betroffenen an der Wange gekratzt. Da diesen Kampfhandlungen die Gefahr erheblicher Verletzungen auch des Betroffenen innewohne, insb. es jederzeit dazu kommen könne, dass der Betroffene unglücklich falle und sich dadurch erhebliche Verletzungen zuziehe, bestehe die konkrete Gefahr erheblichen gesundheitlichen Schadens. Das Einsperren sei verhältnismäßig; es dauere regelmäßig bis zu einer Stunde und greife ggü. dem ebenso geeigneten Verbringen in das Zentrum für Psychiatrie deutlich geringer in die Freiheit des Betroffenen ein.

Dagegen richtet sich die sofortige we...

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