Leitsatz (amtlich)

Der spezielle anfechtungsrechtliche Begriff der Rechtshandlung ist weit auszulegen. Auch die Verbuchung von Zahlungseingängen durch die Gläubigerbank stellt eine solche Rechtshandlung dar.

Die Sicherung eines Anspruchs durch Schaffung einer Aufrechnungslage kann auch dann inkongruent im Sinne des § 131 InsO sein, wenn der Anfechtungsgegner die Erfüllung seines Anspruchs hätte verlangen können. Die kontoführende Bank hat im Rahmen des Kontokorrentverhältnisses keinen Anspruch auf Gutschriften, die beim zukünftigen Insolvenzschuldners zum Erwerb eines positiven Saldos führen.

Der als inkongruent zu behandelnde Fall, in dem eine Bank eine Gutschrift auf einem nicht-debitorischen Konto des Schuldners zur Aufrechnung mit einem Negativsaldo auf einem anderen Konto des gleichen Schuldners benutzt, steht im Ergebnis dem Fall gleich, in dem die Bank das Guthaben auf einem nicht-debitorischen Konto zur Aufrechnung mit einer vom Kontokorrentverhältnis unabhängigen eigenen Schadensersatzforderung verwenden will.

Mit Beendigung eines Girovertragsverhältnisses erlangt der Kontoinhaber einen vertraglichen Auszahlungsanspruch, bereicherungsrechtliche Ansprüche bestehen daneben nicht.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 14.11.2006; Aktenzeichen 2 O 465/05)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 07.05.2009; Aktenzeichen IX ZR 22/08)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 14. November 2006 - 2 O 465/05 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt geändert:

    • 1.

      Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.979.906,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent für den Zeitraum vom 1. Juni 2000 bis zum 19. Mai 2002 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Mai 2002 zu bezahlen.

    • 2.

      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  • II.

    Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 7/100 und die Beklagte 93/100.

  • III.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Der Zwangsvollstreckungsschuldner darf jeweils die Zwangsvollstreckung des Gläubigers gegen Sicherheitsleistung von 120 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

  • V.

    Der Streitwert für den Berufungsrechtszug beträgt 9.979.906,23 EUR.

 

Gründe

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der K. GmbH & Co. KG (im Folgenden KSK). Die Parteien streiten über die Auszahlung eines Kontoguthabens der KSK bei der Beklagten. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

KSK schädigte in betrügerischem Zusammenwirken mit der F. Technologie GmbH und Co. KG (im Folgenden F.) unter anderem Leasinggesellschaften, indem sie in großem Umfang nicht existierende Horizontalbohrsysteme an diese verkaufte, die die Maschinen anschließend an F. verleasten. Die von den Leasinggesellschaften gezahlten Kaufpreise überwies KSK teilweise an F. weiter, die damit wiederum Teile der Leasingraten bezahlte. Dabei bediente sich KSK unter anderem eines Giro-Kontokorrents bei der Beklagten, das aufgrund von Zahlungseingängen der Firma L. vom 2. Februar 2000 am 4. Februar 2000 einen positiven Tagessaldo in Höhe von 18.769.618,23 DM aufwies. An diesem Tag reichte KSK einen schriftlichen Überweisungsauftrag über 27.000.000 DM zugunsten eines Kontos der F. beim Bankhaus T. und B. ein.

Ebenfalls am 4. Februar 2000 wurden die Geschäftsführer der F. verhaftet. In der Absicht, sich eine Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber F. zu verschaffen, änderte die Beklagte daraufhin den Überweisungsauftrag der KSK eigenmächtig ab, indem sie Namen und Bankleitzahl der Empfängerbank sowie die Kontonummer der Empfängerin durch ein bei ihr geführtes Konto der F. ersetzte. Des Weiteren reduzierte sie den Überweisungsauftrag auf die Summe von 18.640.000 DM, die sie im Folgenden dem Konto der KSK belastete und dem bei ihr geführten F.-Konto gutschrieb. Am folgenden Montag, den 7. Februar 2000 kündigte die Beklagte den der KSK eingeräumten Kontokorrentkredit mit sofortiger Wirkung (Anlage B 26). Nachdem dem Konto der KSK aufgrund zweier Scheckrückgaben in Höhe von insgesamt 875.000 DM neue Deckung zugeflossen war, erstellte die Beklagte zu Lasten des KSK-Kontos am 8. Februar 2000 eigenmächtig einen weiteren schriftlichen Überweisungsauftrag in Höhe von 879.000 DM wiederum zugunsten des bei ihr geführten F.-Kontos aus und führte die Überweisung noch am selben Tag durch.

Am 9. Februar 2000 wurde Rechtsanwalt Dr. B. zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der F. bestellt. In dieser Funktion forderte er die Beklagte zur Auszahlung des Guthabens auf dem bei der Beklagten geführten Konto der F. auf. Am 1. Juni 2000 wurde über das Vermögen der KSK das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 13.05.2002 (Anlage B 9) erklärte er gegenüber der Beklagte...

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