Entscheidungsstichwort (Thema)

Irriger Annahme der Verkündung einer Entscheidung; Zustellung eines nicht verkündeten Urteils

 

Normenkette

ZPO § 310 Abs. 1 Alt. 2

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 16.06.2010; Aktenzeichen 17 O 15434/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin vom 6.7.2010 wird das am 16.6.2010 zugestellte Endurteil des LG München I (Az. 17 O 15434/09) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten.

Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche i.H.v. insgesamt 6.169,57 EUR (Sachschaden- und Vermögensschaden: 4.542,44 EUR; Schmerzensgeld: "zunächst 1.000 EUR"; vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten: 627,13 EUR) aus einem Verkehrsunfall vom 26.5.2009 in München geltend. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 31/35 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG München I hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der Erwägungen des LG wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses der Klägerin am 16.6.2010 zugestellte Urteil hat diese mit einem beim OLG München am 6.7.2010 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 42/43 d.A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.9.2010 mit einem beim OLG München am 13.9.2010 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 49/56 d.A.) begründet.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 22.11.2010 (Bl. 58/59 d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 21.1.2011 Bezug genommen.

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I. Das LG hat ein die Instanz nicht abschließendes sog. Scheinurteil erlassen.

1. Ein Urteil ist am Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 310 I 1 Fall 1 ZPO) oder in einem sofort zu bestimmenden Termin zu verkünden (§ 310 I 1 Fall 2 ZPO).

a) § 310 I 1 Fall 1 ZPO regelt das sog. Stuhlurteil. Dieses wird nach einer etwaigen Beweisverhandlung gem. §§ 279 III, 285 I ZPO und einer Beratungspause sofort verkündet, es kann aber auch nach einer längeren Unterbrechung der Verhandlung (etwa zur Abhaltung anderer Verhandlungen) und Wiederaufruf der Sache (vgl. BGHZ 158, 37 [39] = NJW 2004, 1666; zu den Grenzen einer solchen Vorgehensweise s. OLG Frankfurt NJW-RR 1988, 128) verkündet werden. Im letzteren Fall ist üblicherweise im Protokoll zu vermerken: "Eine Entscheidung soll am Schluss der heutigen mündlichen Verhandlung verkündet werden" o. Ä. (Hk-ZPO/Saenger, 4. Aufl. 2010, § 310 Rz. 2). In diesem Fall muss das Protokoll vor der Unterschrift des Vorsitzenden die Urteilsformel des später noch abzusetzenden Urteils enthalten (vgl. BGHZ 158, 37 [39] = NJW 2004, 1666).

Dieser Fall ist vorliegend ersichtlich nicht gegeben. Die Erstrichterin hat am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 15.3.2010 folgenden Beschluss verkündet (Bl. 30 d.A.): "Entscheidung ergeht am Ende der Sitzung ". Das Protokoll ist sodann von der Vorsitzenden und - für die Richtigkeit der Übertragung von dem Tonträger (vgl. § 160a ZPO) - von einer Justizangestellten unterzeichnet. Eine Urteilsformel ist weder im eigentlichen Protokolltext noch in einer in Bezug genommenen maschinenschriftlichen, handschriftlichen oder stenografischen Anlage niedergelegt.

b) Das LG München I hat vielmehr einen Verkündungstermin bestimmt (§ 310 I Fall 2 ZPO). Hierunter fällt auch die Anordnung, dass eine Entscheidung " am Schluss der Sitzung ", also am Ende des Sitzungstages ergehen soll (BGHZ 158, 37 [39] = NJW 2004, 1666; Hk-ZPO/Saenger, a.a.O., Rz. 4; ungenau Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 310 Rz. 3 und BL/Hartmann, ZPO, 69. Aufl. 2011, § 310 5; krit. Fischer DRiZ 1994, 95 [97]; Musielak in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl. 2008, § 310 Rz. 5). In diesem Fall muss gem. §§ 310 II, 315 I 1 ZPO das vollständig abgefasste und unterschriebene Urteil vorliegen und über dessen Verkündung ein gesondertes Verkündungsprotokoll mit dem Inhalt des § 160 III Nr. 6, 7 ZPO erstellt werden (vgl. BGHZ 158, 37 [39] = NJW 2004, 1666).

Ein solches Verkündungsprotokoll liegt nicht vor. Das zusammen mit dem Verhandlungsprotokoll vom 15.3.2010 am 11.6.2010 übersandte, vollständig schriftlich abgefasste und unterschriebene Urteil (Bl. 31/35 d.A.) enthält nach der Unterschrift der Richterin einen Verkündungsvermerk, welcher, dem Gang der Verhandlung entsprechend, konsequenterweise n...

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